Gerade auf Großbaustellen finden viele Montagetätigkeiten im Elektrohandwerk über Kopf statt – eine auf Dauer belastende Tätigkeit. Eine neue, auf den ersten Blick ungewöhnliche Form der Erleichterung können so genannte »Exoskelette« schaffen.
Auf einen BlickÜber-Kopf-Arbeiten sind auf vielen Baustellen Alltag und belasten auf Dauer die Mitarbeiter
Hilfestellung kann das hier vorgestellte Exoskelett liefern
Exo- oder auf Deutsch Außenskelette kennt man bisher vor allem aus der Medizintechnik oder von militärischen Anwendungen. Dabei handelt es sich in der Regel aber um so genannte aktive Exoskelette, bei denen elektrische Antriebe den Menschen unterstützen und die daher eine Energieversorgung z.B. durch Akkus benötigen. Das von dem Medizintechnikunternehmen Ottobock unter der Bezeichnung »Paexo« (Bilder 1 und 2) nun vorgestellte Exoskelett ist dagegen ein passives Gerät. Es funktioniert ohne externe Energiezufuhr.
Als Zielgruppe hat das Unternehmen unter anderem das Bauhandwerk im Visier. Speziell die Arbeit über Kopf ist in vielen Gewerken eine große Belastung für die Mitarbeiter, darunter auch in der Elektroinstallation. Hier entlastet das Exoskelett den Mitarbeiter im Schulterbereich, indem es das Gewicht über so genannte Armschalen mit einer mechanischen Seilzugtechnik auf die Hüfte ableitet (Bild 3). Bis zu einem Gewicht von rund 10 kg soll die Entlastung etwa 50 % betragen.
Das 1,9 kg schwere Exoskelett lässt sich wie ein Rucksack anziehen. Man kann es auf Körpergrößen von rund 160 cm bis 190 cm anpassen, so dass sich auch mehrere Mitarbeiter ein Gerät teilen können. Das ist angesichts des derzeit noch stolzen Preises von rund 4.900 € auch sinnvoll. Inzwischen lässt sich das Exoskelett auch leasen, hier starten die Preise bei 115 € im Monat, sagte Dr. Sönke Rössing, Leiter des Geschäftsbereichs Ottobock Industrials, anlässlich der Vorstellung des Systems auf der Messe Bau in München.
Ausfallzeiten reduzieren
Neben der Erleichterung der Tätigkeiten für den Mitarbeiter können Exoskelette auch aus unternehmerischer Sicht sinnvoll sein, da sie das Potenzial haben, krankheitsbedingte Ausfallzeiten zu reduzieren. So sind arbeitsbedingte Muskel-Skelett-Erkrankungen in Deutschland der häufigste Grund für Arbeitsunfähigkeit, wie eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) aus dem Jahr 2016 ergeben hat. Etwa 27 % der Arbeitsunfähigkeitstage in der Baubranche wurden 2017 durch Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems verursacht, ermittelte der »Fehlzeiten-Report 2018« (herausgegeben vom Wissenschaftlichen Institut der AOK, der Universität Bielefeld und der Beuth Hochschule für Technik Berlin). Auffallend hoch sind diese Zahlen für Berufe mit einem üblicherweise großen Anteil von Überkopf- und Überschulterarbeit: Aus- und Trockenbau (33,2 %), Bauelektrik (29,7 %) und Hochbau (29,4 %).
Das Exoskelett wurde ursprünglich für die automobile Endmontage bei VW entwickelt, kommt inzwischen aber auch im Handwerk zum Einsatz. So hat z.B. das Industriemontage-Unternehmen Thor das Skelett im November 2018 auf seinen Baustellen getestet, u.a. im Heizungs-, Elektro- und Rohrleitungsbau. »Unsere Mitarbeiter waren begeistert von der sofortigen Entlastung der Muskulatur, zum Beispiel bei Lötarbeiten über Kopf oder Verkabelungen unter der Decke«, so Kersten Thor, Geschäftsführer des Unternehmens mit 1100 Mitarbeitern und fünf Standorten. Er berichtete aber auch davon, dass sich die Mitarbeiter erst an das neue Hilfsmittel gewöhnen mussten. Keine Probleme mit der Funktionalität des Exoskeletts gab es nach seiner Aussage bei staubigen und schmutzigen Umgebungen. Auch im Winter sei das Arbeiten mit dem Gerät kein Problem – man können Jacken darüber oder darunter tragen.