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Multirotor E-Antrieb für hohe Ansprüche

Der Planetenmotor

Planetenmotor
(Bild: stock.adobe.com)

Elektrische Motoren für Industrie- und KFZ-Antriebe bekommen in der Regel über hohe Drehzahlen ihre hohe Leistungsdichte. Die Drehzahl wird danach, je nach Anwendungszweck, über ein separates Getriebe reduziert. Der Steigerung der Leistungsdichte durch höhere Drehzahlen ist aber eine Grenze durch die Festigkeitseigenschaften des Rotormaterials gesetzt. Dabei sind 100 … 200 m/s typischerweise das Limit von wirtschaftlich darstellbaren Rotorumfangsgeschwindigkeiten.

Mehrfach dreht besser

Eine klassische E-Maschine hat einen Stator und einen Rotor. Man kann physikalisch-mathematisch zeigen, dass die Aufteilung dieses einen Rotors auf mehrere, in Summe flächengleiche Rotoren am Ende zur gleichen Leistung führt. Das bedeutet beispielsweise bei Aufteilung auf vier Teilrotoren den halben Durchmesser des ursprünglichen Rotors. Bei gleichbleibender Drehzahl und in Summe dem gleichen Drehmoment hat man somit die gleiche Leistung, aber mit dem wichtigen Unterschied, dass jetzt durch den halben Durchmesser die Umfangsgeschwindigkeit nur mehr halb so groß ist wie in der ursprünglichen Maschine. War man vorher durch die Rotorumfangsgeschwindigkeit limitiert, ist es jetzt prinzipiell möglich die Rotordrehzahl und damit die Leistung zu verdoppeln, bevor dieses Limit wieder erreicht wird.

Dieses Prinzip würde auch bei der Verwendung von getrennten, kleineren E-Maschinen funktionieren, aber das Besondere am Planetenmotor ist, dass die Rotoren sich einen gemeinsamen Stator und ein gemeinsames Wicklungssystem teilen. Zunächst wurde an der TU Wien überlegt, wie mehrere Elektromotoren zu einer Einheit kombiniert werden können.

Ordnet man gedanklich vier vereinfachte Teilmaschinen nebeneinander an (Bild 1, links), erkennt man, dass gewisse Teile der Maschine magnetisch nicht mehr benötigt werden. Manche Bereiche sind magnetisch nicht aktiv (grün), in anderen heben die magnetischen Flüsse einander gegenseitig auf (bräunlich). Damit kann ein vereinfachter gemeinsamer Stator für die vier Rotoren gebildet werden (Bild 1, rechts), der aus Sicht der einzelnen Rotoren die gleichen magnetischen Verhältnisse für sie bietet, wie das Ausgangskonzept von vier gleichen Motoren. Man erkennt, dass sich durch die Vereinfachung des Stators nicht nur Statormaterial und -gewicht einsparen lassen, sondern auch die Anzahl der benötigten Spulen reduziert werden kann, nämlich auf die Hälfte.

Bild 1: Anordnung von vier Maschinen in einem Blechpaket (li.) und um nicht benötigte Teile reduzierter Stator (re.)
Bild 1: Anordnung von vier Maschinen in einem Blechpaket (li.) und um nicht benötigte Teile reduzierter Stator (re.)

Mechanische Kopplung der Rotoren

 

Bild 2: Planetenmotor der TU Wien
Bild 2: Planetenmotor der TU Wien

Um die Leistung der einzelnen Rotoren gemeinsam auf eine Welle zu bringen, werden die Rotorwellen an ihren Abtriebsenden verzahnt. Da benachbarte Rotoren gegenläufig drehen, werden gegenüberliegende Rotoren herangezogen, um ein außenverzahntes Zahnrad anzutreiben, und das andere Rotorwellenpaar zum Antrieb eines innenverzahnten Zahnrads genützt. Dabei erinnert die Gesamtanordnung an ein Planetengetriebe: das große innenverzahnte Zahnrad an das Hohlrad, das außenverzahnte an das Sonnenrad und die verzahnten Rotorwellen an die kleinen Planetenräder. So kommt der Multirotor E-Antrieb der TU Wien zu seinem Namen »Planetenmotor« (Bild 2).

Bei richtiger Auslegung der Verzahnung drehen das Sonnen- und das Hohlrad mit der gleichen Drehzahl und beide können mechanisch verbunden werden. Diese Konstruktion ermöglich eine sehr flache, kompakte Bauweise der gesamten Maschine. Wird diese Seite als Abtrieb genutzt – beispielsweise direkt als Radnabenantrieb oder auf eine Welle geführt – wird damit die Leistung aller Rotoren summiert. Umgekehrt funktioniert das Prinzip ebenso: Wird die Maschine als Generator betrieben, so wird die mechanische Leistung über das Sonnen- sowie das Hohlrad auf die einzelnen Rotoren aufgeteilt und über den Stator und die Leistungselektronik in elektrische Energie umgewandelt.

Integration der Leistungs­elektronik

Bild 3: Platzsparende Leistungselektronik für den Planetenmotor
Bild 3: Platzsparende Leistungselektronik für den Planetenmotor

Durch die geradlinige Geometrie der Statorteile ist es möglich, vorgefertigte konzentrierte Spulen zu verwenden, die auf den Stator einfach aufgeschoben werden. Die Struktur des Planetenmotors erlaubt es, alle Spulenanschlüsse auf einer Seite herauszuführen und direkt mit einer Hochstromplatine zu verbinden. Auf dieser Platine, die alle Spulen elektrisch zusammenschaltet, kann auch die gesamte Umrichterelektronik untergebracht werden. Das ergibt eine sehr kompakte Einheit aus E-Maschine und Umrichter bei gleichzeitig minimalen Zuleitungslängen und verbessertem EMV-Verhalten (Bild 3).

Einfachere Spulenformen

Bild 4: Spulen aus Flachdraht gestatten einen hohen Kupferfüllfaktor
Bild 4: Spulen aus Flachdraht gestatten einen hohen Kupferfüllfaktor

Der Stator des Planetenmotors ermöglicht eine geringe Anzahl an Polpaaren für den Betrieb und führt dadurch zu niedrigen elektrischen Frequenzen in der Maschine. Dadurch werden alle mit Wirbelstrombildung einhergehenden Effekte und Probleme verringert. Dazu kommt das bereits erwähnte Faktum, dass die neue Statorform es ermöglicht, Spulen in vorgefertigter Endform auf Statorschenkel einfach aufzuschieben, statt sie jeweils in die Maschine wickeln zu müssen. Aus diesen beiden Eigenheiten des neuartigen Planetenmotors ergeben sich ganz neue Möglichkeiten bei der Gestaltung von Statorwicklungen und für die Optimierung der Fertigungsprozesse. Beispielsweise können Wicklungen aus solidem Flachdraht eingesetzt werden (Bild 4), die einen hohen Kupferfüllfaktor ermöglichen und damit platzsparend eingebaut werden können.

Ersatz der Sensoren

Trotz der besonderen Struktur des Planetenmotors bleibt die Maschine elektrisch gesehen eine symmetrische, dreiphasige Maschine, die mit konventionellen Verfahren geregelt werden kann. Am Institut für Energiesysteme und Elektrische Antriebe wird schon seit vielen Jahren an sensorlosen Regelungen geforscht. Sie wurden bereits für verschiedenste Einsätze optimiert. Diese Art der Regelung kommt ohne einen Lagegeber für den Rotorwinkel aus, weil dieser aus bereits vorhandenen Strommesswerten mit Hilfe eines mathematischen Modells berechnet werden kann.

Das Besondere dabei ist, dass die sensorlose Regelung nach dem an der TU Wien entwickelten INFORM-Verfahren auch im Stillstand der Maschine funktioniert. Durch den Wegfall des Sensors wird einerseits die Ausfallsicherheit erhöht und andererseits werden die Kosten gesenkt. Diese sensorlose Technologie hat sich mittlerweile tausendfach in der Praxis bewährt und wird auch bei dieser Maschine eingesetzt.

Kompakt und leistungsstark

Die Integration von elektrischer Maschine, Getriebe und Leistungselektronik in einer Einheit ermöglicht ein hoch kompaktes Antriebssystem. Die geradlinige Flussführung im Stator erlaubt den Einsatz von kornorientiertem Elektroblech, wodurch zusätzlich die Eisenverluste reduziert werden können.

Mit dem hier vorgestellten Prinzip können sowohl permanentmagneterregte Rotoren betrieben werden als auch einfache Rotoren, die gänzlich ohne Seltenerdmetalle auskommen – sogenannte Reluktanzrotoren.

Vorteile des Planetenmotors

Durch die Integration von Motor, Getriebe und Leistungselektronik lassen sich sehr kompakte Antriebsstränge mit höhere^r Leistungsdichte durch Anhebung der Rotordrehzahlgrenze mit hohem Wirkungsgrad in einer Fertigung mit erhöhtem Automatisierungsgrad realisieren. Die sehr flache Bauweise und der Wegfall von Sensoren ermöglichen die Herstellung bei deutlich geringeren Kosten und gleichzeitig eine hohe Ausfallssicherheit auch bei sicherheitskritischen Anwendungen. Mögliche Anwendungsbereiche sind:

  • Hebevorrichtungen
  • Trommelantriebe
  • Produktions- und Werkzeugmaschinen
  • Notaggregate
  • Robotergelenkantriebe
  • e-Mobility, Automobilbau
  • Luft- und Raumfahrt sowie
  • Baumaschinen.

Stand der Entwicklung

An der TU Wien wurden mehrere Prototypen gefertigt, die je nach benötigter Anwendung oder vorgesehenem Einsatzbereich als Grundlage für Machbarkeitsstudien und Testserien herangezogen werden können.

Unternehmen, die Interesse am Einsatz bzw. an der Fertigung von Planetenmotoren haben, finden in Prof. Dr. Manfred Schrödl, im Forschungsbereich Antriebe und Leistungselektronik der TU Wien, einen kompetenten Partner mit industrieller Erfahrung für die Entwicklung eines eigenen Antriebes auf Basis des patentierten Planetenmotors. Eine gezielte Machbarkeitsstudie ermöglicht die rasche Optimierung für jeweils unternehmenseigene Zwecke. Der Bau eines entsprechenden Prototyps bildet die Basis für eine zügige Umsetzung der industriellen Fertigung.

Die TU Wien ist mit 5000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie 29.000 Studierenden die größte naturwissenschaftlich-technische Hochschule Österreichs. Sie gehört seit mehreren Jahren zu den Top-5 Patentanmeldern aus Österreich. Das Volumen an Projekten, die mit Unternehmen und Fördereinrichtungen abgewickelt werden, beläuft sich auf fast 40 % der staatlichen Basisfinanzierung.

Antriebe und Leistungselektronik an der TU Wien

Seit 25 Jahren werden sensorlose Regelungen für verschiedenste Elektroantriebe in der industriellen Anwendung an der TU Wien erforscht und entwickelt. Namhafte Firmen und Branchenführer in ihrer Sparte zählen zu den Kooperationspartnern und Auftraggebern des Forschungsbereiches Antriebe und Leistungselektronik am Institut für Energiesysteme und Elektrische Antriebe der TU Wien.

Über die Autoren
Autorenbild
Prof. Manfred Schrödl

Vorstand des Institutes für Energiesysteme und Elektrische Antriebe und Leiter des Forschungsbereiches Antriebe und Leistungselektronik, TU Wien

Autorenbild
Dipl.-Ing. Andreas Brunner

Universitätsassistent am Forschungs­bereich Antriebe und Leistungselektronik, TU Wien

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