Über den akutellen Vorbereitungsstand in Zeiten der Corona-Krise und die Aussichten für das Elektrohandwerk sprachen wir mit Martin Böhm, Präsident des FEH NRW und Sabine Loos, Hauptgeschäftsführerin der Westfalenhallen Unternehmensgruppe.
»de«: Die Corona-Krise hat viele Branchen stark getroffen, wie wirkt sich die Corona-Krise auf das Elektrohandwerk und die Industrie aus?
M. Böhm: Auch bei den E-Handwerken führte die Corona-Krise zunächst zu einem signifikanten Einbruch der Auftragslage. Doch letzten Endes haben deutlich mehr Unternehmen zunächst Kurzarbeit angemeldet als in Anspruch genommen. Um zielgerichtet die Interessen in Politik und Wirtschaft vertreten zu können, hat der Bundesverband ZVEH zu den Auswirkungen der Corona-Krise bereits zwei Sonderkonjunkturumfragen durchgeführt.
Während in den Nachrichten von der schwersten Wirtschaftskrise seit dem 2. Weltkrieg gesprochen wird, zeigt sich das E-Handwerk recht robust in der Krise. Bei der Frühjahrsumfrage vor Corona betrug der Geschäftsklimaindex noch 88,2 Punkte, stürzte dann aber bei der März-Umfrage kurzfristig auf 55,6 Punkte ab. Sechs Wochen später ist er jedoch schon wieder auf 70,1 Punkte angestiegen. Mit Blick auf den derzeitigen Rückwärtstrend bei der Corona-Ausbreitung im europäischen Raum sind die Aussichten insgesamt wieder deutlich positiver geworden.
Die Ergebnisse der ersten Befragung Ende März zeigten, dass zwar ein hoher Anteil der E-Handwerksbetriebe Umsatzrückgänge verzeichnete; viele profitierten jedoch noch von teils beachtlichen Auftragspolstern. Eine weitere Verschärfung der betrieblichen Auswirkungen ist glücklicherweise nicht eingetreten. Die Mai-Umfrage zeigt uns, dass die E-Handwerke bereits beginnen, sich von der Krise zu erholen. Vorbehaltlich der ebenfalls fortgesetzten Entspannung bei der Pandemie, sind die E-Handwerke auf einem guten Weg.
Sorge bereiten aktuell die Materialengpässe, die sich seit März verstärkt haben. Die Lagerbestände bei Herstellern/Großhandel trugen im März noch dazu bei, dass lediglich 30,7 % der Unternehmen Probleme meldeten, in der Mai-Umfrage ist dieser Wert nun auf 43,8 % angestiegen. Am schwerwiegendsten sind dabei die Engpässe bei »Licht und Beleuchtung« mit 47,0 % (März: 51,3 %), also bei Produkten, die insbesondere in Italien und im asiatischen Raum produziert werden. Weitere Engpässe betreffen beispielsweise Produkte aus den Bereichen »Gebäudeautomation« mit 29,1 % (März: 25,0 %) und »Elektrogeräte« mit 28,1 % (März: 19,3 %).
Doch selbst wenn die Hersteller nun ohne weitere Zwangspausen voll produzieren, dürften bei einer angeschlagenen Logistik-Branche noch einige Monate vergehen bis das Material wieder wie gewohnt zur Verfügung steht.
»de«: Sind nachhaltige Änderungen der Branche abzusehen?
M. Böhm: Nachhaltige Änderungen für unsere Branche sehe ich weniger Corona-bedingt als marktgegeben. Klimaschutz, Energie- & Mobilitätswende, Digitalisierung & Vernetzung sowie Künstliche Intelligenz sind die großen Themen unserer Zeit – und diese betreffen allesamt die innovativen Geschäftsfelder der E-Handwerke. Hierzu in Aussicht stehende Konjunkturprogramme beispielsweise zur Digitalisierung in Verbindung mit Klimaschutz werden dem Elektrohandwerk zusätzlich wirtschaftlichen Auftrieb geben und können dazu beitragen, einen Großteil der von der Krise betroffenen Betriebe wieder auf Erfolgskurs zu bringen.
Aus Sicht unseres Verbands besteht zusätzlich dringender Bedarf zur Förderung von Elektromodernisierungen, um auch die Gebäude aus den 50er, 60er und 70er Jahren mit veralteten Elektroanlagen energiewendefähig zu machen. Immerhin ist eine moderne Elektroinfrastruktur die Basis für ein funktionierendes Lastmanagement, für Elektromobilität und für den Einsatz smarter Technologien. Die Reform des Wohnungseigentumsgesetzes, die von der Bundesregierung schon Ende April auf den Weg gebracht wurde, ist hierbei ein erster Meilenstein. Wenn der Gesetzentwurf entsprechend umgesetzt wird, sollten für die E-Handwerke einige Hürden vom Tisch sein, die bislang die Installation von Ladesäulen/Wallboxen oder Gigabit-Glasfaser-Anschlüssen erschwerten oder unmöglich machten.
Einen Einblick in das Potenzial Künstlicher Intelligenz (KI) vermittelt unser E-Haus; dieses wird nach erneutem Facelift auf der elektrotechnik 2021 präsentiert. Integriert sind hier u. a. eine KI-gesteuerte Atemluftüberwachung mit Notruffunktion für Diabetes-Patienten. Auch das Energiemanagement des E-Hauses ist über KI in der Lage, die Energieversorgung unter Einbeziehung von Wetterdaten und von Daten zum Nutzerverhalten zu steuern, um diese optimal an die Bedürfnisse der Bewohner anzupassen und dabei möglichst hohe Energieeinsparungen zu erzielen. Auch wenn wir erst am Anfang der Nutzung von KI stehen, zeigen diese beiden Beispiele im E-Haus, was heute bereits möglich ist.
»de«: Messen und Veranstaltungen gehören zum Beispiel zu der Branche, die in der Krise besonders gelitten haben. Viele Fachmessen sowie elektrotechnische Leitmessen wurden abgesagt. Wie ist hier der aktuelle Stand der elektrotechnik 2021?
S. Loos: 2020 ist bislang sicherlich eines der schwierigsten Jahre für die Veranstaltungsbranche überhaupt. Das auch viele internationale Leitmessen verschoben oder sogar ersatzlos gestrichen wurden, ist in diesem Ausmaß – glaube ich – einzigartig. Das Land Nordrhein-Westfalen hat inzwischen jedoch Rahmenbedingungen vorgegeben unter deren Beachtung ab September wieder erste Messen realisierbar sind. Dazu gehören Aspekte, die wir als Messeveranstalter nicht beeinflussen können, wie der vergleichsweise moderate Infektionsverlauf in Deutschland, aber eben auch Voraussetzungen wie ein ausgereiftes Hygienekonzept mit Desinfektionsmöglichkeiten, Abstandsregelungen, Aufklärungskampagnen und vielem mehr.
Auch die Reisemöglichkeiten von Besuchern und Ausstellern aus dem In- und Ausland sind ein wichtiges Thema. Wir beobachten die Entwicklungen und Empfehlungen in allen Bereichen sehr genau. Ziel ist es, sowohl für Aussteller als auch für Besucher schnellstmöglich Planungssicherheit zu schaffen. Daran haben wir in den vergangenen Wochen gearbeitet und sehen uns gut gerüstet, um ab September wieder die ersten Messen in den Westfalenhallen durchzuführen. Das bedeutet natürlich auch, dass wir bezüglich der elektrotechnik im Februar 2021 sehr optimistisch sind. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren und wir sehen auch bei den Ausstellern den Optimismus zurückkehren.
M. Böhm: Als fachlicher und ideeller Träger gestalten wir aktuell das Rahmenprogramm, das sich an unseren Schwerpunkten Gebäude-, Industrie-, Energie- und Lichttechnik orientiert. Die Besucher dürfen sich wieder auf hoch interessante und aktuelle Vortragsforen freuen – hier gibt es »Wissen auf den Punkt gebracht«. Viele Betriebe besuchen die Messe mit mehreren Mitarbeitern und teilen sich auf, um alle für das Unternehmen relevanten Informationen mitzunehmen.
»de«: Was erwarten Sie inhaltlich von der elektrotechnik 2021? Wird zum Beispiel digitaler gearbeitet?
M. Böhm: Während des Lockdowns hat die Digitalisierung vielfach die Regie übernommen und dazu beigetragen, dass einige Bereiche überhaupt aufrechterhalten werden konnten. Unser Fachverband hat beispielsweise seine Mitgliederversammlung in Form einer Web-Konferenz durchgeführt. Das hat alles sehr gut funktioniert, doch der persönliche Austausch untereinander konnte auf diesem Wege natürlich nicht realisiert werden und hat entsprechend gefehlt: Vertrauen ist digital nicht realisierbar. Daher ist es so wichtig, dass unsere Fachmesse elektrotechnik stattfinden kann. Hier treffen die Betriebe auf ihre regionalen Ansprechpartner der Hersteller und können Produkte und Werkzeuge anfassen und ausprobieren – auch das ist digital nicht machbar.
S. Loos: Wie der FEH stehen auch wir im Austausch mit vielen Ausstellern und ich kann Herrn Böhm nur bestätigen: der Wunsch zur Rückkehr in die Normalität, der Wunsch sich wieder persönlich auf einer Fachmesse zu treffen, ist enorm. Von daher erwarten wir wieder ein hochkarätiges Ausstellerangebot in allen vier Bereichen: Gebäude-, Industrie-, Energie- und Lichttechnik. Herr Böhm hat ja vorhin schon viele Stichworte gegeben, wie sich Elektrohandwerk und -Industrie verändern und welche Themen dementsprechend auch auf der Messe im Schwerpunkt stehen werden.
Insgesamt lässt sich feststellen, dass Technologie sich immer stärker am Menschen ausrichten und dabei möglichst schonend zur Umwelt sein sollen. Dazu gehören neben großen Trends, wie dem Human Centric Lighting oder der Energiewende, vor allem energieeffiziente Produkte, der Ausbau der Ladeinfrastruktur für die Elektromobilität oder smarte Lösungen für Gebäude und Zuhause. Auch die Vorträge auf den diversen Bühnen werden sicherlich wieder ein inhaltliches Highlight sein und vom Elektrohandwerker über den Planer und Architekten bis hin zum kommunalen Netzverantwortlichen allen ein informatives Angebot bieten.
»de«: Wie sind aus Ihrer Sicht die Elektrohandwerke für die nächsten Jahre aufgestellt?
M. Böhm: Die Elektrohandwerke sind sehr gut aufgestellt – daran kann auch die Corona-Krise nichts ändern. Zu den Wachstumsmärkten der Betriebe gehören im Schwerpunkt die Bereiche Smart Home/Building, der Ausbau von Ladeinfrastruktur (Ladesäulen/Wallboxen), alles rund um das Thema Energieeffizienz und zunehmend auch der Breitbandausbau. Unsere E-Handwerksbetriebe sind für diese Märkte gut gerüstet und nutzen die zahlreichen Weiterbildungsangebot der E-Akademie.NRW. Qualifizierung ist der Schlüssel zum Erfolg und unsere Innungsmitglieder wissen das.
Die steigende Nachfrage nach Fachkräften und Nachwuchs bleibt auch im E-Handwerk zentrales Thema. Besonders bei den Ausbildungszahlen sind wir in Nordrhein-Westfalen auf einem guten Weg: zum fünften Mal in Folge sind die Ausbildungszahlen gegenüber dem Vorjahr deutlich angestiegen: 2019 erlernten in Nordrhein-Westfalen insgesamt 10.732 junge Leute einen der sieben Berufe der E-Handwerke – das entspricht einem Anstieg von 5,6 % (2018: 10.161).
Alles in allem können wir optimistisch in die Zukunft blicken – denn ohne Elektro- und Informationstechnik ist unsere Gesellschaft nicht vorstellbar.
»de«: Welche besonderen Herausforderungen sehen Sie aktuell bei der Ausrichtung der Fachmesse elektrotechnik? Werden besondere Vorkehrungen bzgl. Corona-Schutzmaßnahmen getroffen?
S. Loos: Wie in allen anderen privaten und öffentlichen Bereichen sind auch bei uns die Hygiene und Gesundheitsvorsorge eine zentrale Herausforderung – natürlich nicht nur zu Corona-Zeiten. Mit zuletzt 450 Ausstellern und mehr als 21.000 Besuchern ist die elektrotechnik keine kleine Veranstaltung, weshalb die Anforderungen, welche die Politik und vor allem wir selbst an uns stellen, sehr anspruchsvoll sind. Das gesundheitliche Wohl unserer Besucher, Aussteller und Kollegen hat für uns höchste Priorität. Trotzdem wollen wir für die bestmögliche Messeerfahrung bieten, weshalb wir viel Arbeit in die Planung und Umsetzung unserer Konzepte stecken. Bis zur elektrotechnik 2021 werden wir damit ein gutes Stück weiter sein und werden erprobte, sichere Konzepte entwickelt haben.
»de«: Wir danken für das Gespräch.