Als im Frühjahr 2020 die erste Corona-Welle durchs Land rollte, wusste niemand wohin es die Elektrobranche treiben würde. Die wichtigste Messe der Branche, die Light + Building, fiel aus. Viele Kunden stornierten Aufträge bzw. Baustellen wurden geschlossen. Berufsschulen sowie alle Bildungseinrichtungen der Branche mussten ihren Unterricht einstellen. Seminare und Tagungen fanden nicht statt.
In der Regel nutzten die Bildungseinrichtungen die Zeit der Schließungen dazu, um ihre Möglichkeiten für die Durchführung von digitalem Fernunterricht massiv auszubauen. So auch das BZE Bildungszentrum für Elektrotechnik Hamburg. Geschäftsführer Olaf Kramer (Bild 1) erinnert sich: »Im Frühjahr 2020 mussten wir unser Bildungszentrum für acht Wochen schließen. Wir haben in dieser Zeit die Kapazitäten für den Fernunterricht erweitert. Außer in eine leistungsfähigere Netzwerkinfrastruktur wurde in Internetsoftware und die Weiterbildung unserer Dozenten investiert. Parallel haben wir Hygienekonzepte entwickelt, die es uns im weiteren Verlauf der Pandemie ermöglichten, das Lehr- und Weiterbildungsangebot mit mehr Abstand wieder aufzunehmen. Heute haben wir fast wieder Normalbetrieb. Alle offenen Seminare bei uns sind ausgebucht. Die Gruppen sind natürlich kleiner als früher und es gelten die 3G-Regeln.«
Der ausgefallene Unterricht konnte laut Kramer in Hamburg komplett nachgeholt werden. Gleiches gilt wohl auch für alle Bildungseinrichtungen im Elkonet, dem Elektro- und Informationstechnischen Kompetenznetzwerk des Elektrohandwerks. Olaf Kramer ist stolz darauf, dass es keine höhere Abbrecher- bzw. Durchfallerquote am BZE durch die Corona-Krise zu verzeichnen gibt. Einen wesentlichen Anteil an diesem Erfolg hat das Nachhilfekonzept »Smart«, welches im BZE angeboten wird. Das Konzept umfasst 2,5 Stunden Nachilfe pro Woche, die nach Feierabend angeboten wird. Die Ausbildungsbetriebe buchen diese Nachhilfe für ihre Azubis und haben so die Gewissheit, dass vorhandene Defizie professionell aufgearbeitet werden können. Im Lockdown 2021 fand die Nachhilfe als Online-Format statt. Der Erfolg bei den Prüfungen hat diese Maßnahme als sehr erfolgreich bewerten lassen.
Die Meisterausbildung am BZE läuft seit dem Lockdown unter Vollauslastung weiter. Klassen mussten öfters geteilt werden als sonst, um den Laborunterricht zu gewährleisten. Auch hier wurde erheblich investiert, um den Unterricht auf weiter hohem Niveau stattfinden zu lassen (Bild 2).
Digitale Formate kein Allheilmittel
So erfolgreich sich digitale Formate in der Aus- und Weiterbildung in den Jahren 2020/21 auch bewährt haben, sie sind kein adäquater Ersatz für Präsenzveranstaltungen. Das ist die einhellige Meinung aller Akteure, die wir im Rahmen der Recherche für diesen Beitrag befragt haben.
Jörg Veit (Bild 3), Geschäftsführer bei Elektro-Breitling in Holzgerlingen beschreibt die Erfahrungen in seinem Unternehmen so: »Zu Beginn der Pandemie wurden unsere Azubis nach Hause geschickt und sollten von dort aus in einer Selbstlernphase abgescannte Buchseiten bearbeiten und Aufgaben dazu lösen. Wir haben schnell erkannt, dass das nicht funktionierte. Die überwiegende Mehrzahl unserer Azubis konnten mit dieser Form der Lernstoffvermittlung nichts anfangen.
Deshalb haben wir innerhalb von nur zwei Tagen ein Online-Tool angeschafft und diese Selbstlernphase der Azubis aktiv mit unseren Ausbildern durch Online-Tutorien betreut. Damit waren wir in der Lage, die für unsere Berufsschulen – völlig unerwartete und unvorbereitete Situation – zu meistern und unsere Azubis eben zu Hause nicht alleine zu lassen. Zudem gibt es auch heute noch Auszubildende, die in häuslichen Umständen leben, die ein konzentriertes Selbstlernen erschweren. Sie teilen sich ein Zimmer mit weiteren Familienmitgliedern oder haben eine unzureichende Internetversorgung.
Wenn drei Kinder im Homeschooling streamen und die Eltern im Homeoffice sind, kann die Bandbreite auch mal eng werden. Hier haben wir dann Möglichkeiten geschaffen, diese Azubis im Unternehmen unterzubringen und ihnen einen Raum und den technischen Zugang zur Verfügung zu stellen.
Der ganzen »Home-Schooling«-Methode lag Anfangs eine fatale (Fehl-)Annahme zugrunde. Man dachte wohl, dass alle unsere Jugendlichen – quasi über Nacht – Selbstlernkompetenzen entwickeln konnten. Montags Aufgaben per E-Mail zum Azubi und die Lösungen bitte am Freitag wieder zurück senden – das war anfangs die gelebte Praxis.
War man ernsthaft der Meinung, dass es möglich ist, reproduzierbare Lernergebnisse durch ausgedehnte Selbstlernphasen nur durch asynchrone Betreuung zu erzielen? Man darf nicht vergessen, dass unsere Auszubildenden auf eine Prüfungsreife hinarbeiten und bereits die Teil-1-Prüfung nach 18 Monaten mit 40 % bzw. 30 % zum Gesamtergebnis der Gesellenprüfung zählt. Deshalb haben wir uns hier als Unternehmen so aktiv eingemischt und das Geld in die Hand genommen, eine qualifizierte synchrone Betreuung dieser Phase gewährleistet. Wir sind sehr froh darüber, dass die Berufsschulen im Kreis nach ein paar Monaten die technischen und pädagogischen Voraussetzungen schafften, um eine synchrone Betreuung der Home-Schooling-Phasen zu gewährleisten. Damit konnten wir uns als Unternehmen wieder unseren Kernaufgaben in der dualen Ausbildung zuwenden.
Ebenso nutzten wir unser Online-Tool für die Weiterbildung unserer Mitarbeiter. Wir haben unsere Monatsschulungen sofort umgestellt und über Zoom-Meetings abgehalten. Die IT-Ausstattung und Infrastruktur steht ohnehin jedem Mitarbeiter zur Verfügung, so dass das kein Problem war. Unsere Ausbilder und Dozenten haben aufgrund ihrer Herkunft bereits jahrelang Erfahrung mit diesen Tools und der Online-Didaktik, so dass die Umstellung für uns kein Problem war. Wir haben vereinzelt auch Herstellern unsere Plattform zur Verfügung gestellt, damit Herstellerschulungen für unsere Mitarbeiter möglich wurden.
Über die Zeit haben die Hersteller aber sehr schnell auch ihre Chance im Onlinelernen und Teletutoring erkannt und entsprechend ihre Angebote umgestellt. Auch Zertifikatslehrgänge wurden online möglich gemacht, eine Entwicklung, die wir sehr begrüßen, weil dadurch auch Reisekosten eingespart werden konnten. Insgesamt können wir mit den Online-Formaten der Bildungsanbieter jetzt viel flexibler auf die Qualifikationsbedürfnisse unserer Mitarbeiter reagieren. Ich denke, in diesem Bereich sind die Bildungsanbieter noch stärker gefordert, ihr Angebot auszubauen. Einen Kritikpunkt möchte ich jedoch noch anführen.
Wer denkt, dass Präsenzformate auch online funktionieren, irrt gewaltig. Die Onlinedidaktik ist vielschichtiger und bedarf einer viel aktiveren Einbindung der Lerner zuhause oder im Büro. Ein reiner Powerpoint-Vortrag – online gehalten – ist für gestandene Handwerker eher sehr ermüdend, weil der aktive und direkte Kontakt des Dozenten zum Teilnehmer fehlt. Hier müssen wir in der Zukunft verstärkt auf die Qualifizierung der Dozenten und Ausbilder achten, dass Online-Lernen und Online-Selbstlernen auch gelingen kann.«
Ohne Nachhilfe geht es nicht
Viel Ausfall an Unterrichtsstunden mussten auch die Azubis bei Dehn Instatec wegstecken. Geschäftsführer Christian Hamann (Bild 4) erinnert sich, dass das Homeschooling anfangs nur schlecht funktioniert hat. Es gab Probleme mit dem Herunterladen von Dateien. Hinzu kam ein schlechter Informationsfluss zwischen Berufsschulen und Ausbildungsbetrieben. Das selbständige Lernen fiel und fällt immer noch einigen Azubis schwer. Große Leistungsunterschiede zwischen den Azubis sind zu verzeichnen, je nachdem welchen Schulabschluss sie mitbringen, mit Quali und Mittlerer Reife. Laut Herrn Hamann sind Schulzeugnisse heute nicht mehr aussagekräftig, da viele Schüler einfach »durchgewunken« werden.
Die Gesellenprüfung Teil 2 ist bei den Azubis von Dehn Instatec (DIC) gut ausgefallen. Dafür musste aber auch erheblich in Nachhilfe investiert werden, was mit erheblichem Mehraufwand und Kosten verbunden war. DIC hat in der Corona-Zeit versucht, mit kleineren Gruppen, Abstand, Masken, Lüften usw. den verlorenen Unterricht wenigstens teilweise in Präsenz nachzuholen.
Leider ist den Verantwortlichen aber auch aufgefallen, dass einige Lehrlinge inzwischen psychisch auffällig sind und sich teilweise auch in Behandlung begeben mussten. Die Motivation der jungen Menschen hat im Verlauf deutlich nachgelassen. Auch die Bewerberzahlen sind deutlich rückläufig. Da keine Praktika stattfinden konnten, Messen und Infoveranstaltungen ausgefallen sind, ist ein großer Teil der traditionellen Akquisemaßnahmen weggebrochen. Nach Herrn Hamanns Erfahrungen wurden zwar digitale Messen angeboten, sind aber sehr aufwändig und bringen leider nicht den Erfolg wie die üblichen Präsenzveranstaltungen.
Hybrid ein Erfolgsmodell
Die »de«-Normentagung sind seit einigen Jahren etabliert. Nachdem auch wir 2020 dazu gezwungen waren, diese rein digital abzuhalten, fand sie am 14./15.7.2021 als Hybridveranstaltung in München statt. Die Erfahrungen dieser Veranstaltung haben gezeigt, dass sich Präsenz und digital mehr als nur ergänzen, sondern sich gegenseitig »befruchten« können. Die Liveübertragung ins Netz hat viele Teilnehmer zur Buchung motiviert, die nicht nach München reisen konnten. Am 30.11. und 1.12.2021 findet eine weitere »de«-Normentagung in Hamburg statt (www.de-normentagung.de). Einige Plätze für die Präsenz gibt es noch und deutlich mehr natürlich für die digitale Teilnahme.
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