Im IG-Metall-Haus Berlin und parallel online über Zoom gaben am 27. April 2022 die Vertreter von Industriegewerkschaft Metall (IG Metall), Zentralverband der Deutschen Elektro- und Informationstechnischen Handwerke (ZVEH), Zentralverband Sanitär Heizung Klima (ZVSHK), Bundesverband Metall (BVM) sowie der Bundesinnungsverband Tischler Schreiner Deutschland (TSD) nicht nur eine Einschätzung zur Lage, sondern beantworteten auch Fragen der Journalisten.
Hohe Arbeitsauslastung bremst die Energiewende
Vorab war bereits der Konsens klar formuliert: Die Klima- und Energiewende wird vom Fachkräftemangel und der hohen Arbeitsauslastung im Handwerk ausgebremst. Die Handwerks-Verbände, die rund 169.000 Betriebe mit 1,6 Millionen Beschäftigten repräsentieren, sehen bei wachsendem Bedarf besonders bei der energetischen Gebäudesanierung gleichzeitig einen Mangel von aktuell rund 190.000 Fachkräften. Von der Bundesregierung erwarten die Organisationen daher schnelle Unterstützung.
„Fachkräftegewinnung ist der Schlüssel zur Erreichung der Klimaziele“, brachte es Ralf Kutzner, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, auf den Punkt. Derzeit sei ein Sanierungsstau bei 19,2 Millionen Wohngebäuden zu verzeichnen, deren mangelhafte Gebäudehülle zusammen mit veralteter Energietechnik für bis zu 30 % der Treibhausgase in Deutschland verantwortlich ist. „Im Gebäudesektor hat die Bundesregierung die Klimaziele 2020 und 2021 deutlich verfehlt“, sagte Kutzner mit Blick auf die deutschen Pläne, bis 2045 Klimaneutralität zu erreichen. Wo man mit dem Neubau von 400.000 Wohnungen und dem Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge nicht hinterherkomme, dürfe man nicht vergessen, dass wir alle in einem Boot sitzen.
Fünf Forderungen an die Politik
Daher wiederholte er die konkreten Forderungen, die die Sozialpartner in einer gemeinsamen Erklärung zur energetischen Gebäudesanierung formuliert haben, um mit aktiver Unterstützung der Politik die Fachkräfte- und Klimawende zu erreichen. Diese fünf Forderungen an die Bundesregierung sind:
- Sofortprogramm: Ziele, Zahlen, Zeithorizonte für Energieeffizienz, Dekarbonisierung der Wärmenetze, ein neues Gebäudeenergiegesetz und die kontinuierliche Neubewertung der Fachkräftesituation
- Ausbildung und Qualifizierung: bessere Ausstattung der Berufsschulen sowie Bildungseinrichtungen des Handwerks, Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Ausbildung, Ausbau des Aufstiegs-BAföGs und Freistellung von Fort- und Weiterbildungskosten
- Digitalisierung: digitale Ökosysteme zur Vernetzung von Handwerkern und weiteren Akteuren wie Energieberatern, Genehmigungsbehörden und Fördermittelgebern, um effizient und fachübergreifend zusammenarbeiten zu können
- Tarifbindung: Fachkräftesicherung im Handwerk durch tariflich abgesicherte Arbeits- und Ausbildungsbedingungen, staatlich geförderte Sanierungsmaßnahmen müssten an die Tarifbindung der Unternehmen gekoppelt werden
- Branchendialog Handwerk: Zentralverbände und IG Metall erwarten einen Branchendialog mit der Politik, um belastbare Vereinbarungen im Sinne der Fachkräftesicherung und der Klimaziele zu treffen.
Klare Vorgaben seitens der Politik sind nötig
ZVEH-Präsident Lothar Hellmann sah die Elektro-Branche bei der Umsetzung der Energieziele eigentlich gut aufgestellt. Selbst der 20-GW-PV-Ausbau sei zu schaffen. Sorge bereitet ihm allerdings das oft kurzfristige Nachsteuern der Bundesregierung bei den gesetzten Energiezielen: „Belastbare Zahlen und klare Vorgaben seitens der Politik sind nötig – und gut geschultes Personal.“ Zum systematischen Aufbau künftiger Fachkräfte ist seiner Einschätzung nach auch eine Gleichstellung von Meister und Bachelor nötig. Die Sozialpartner hatten dies unter dem Slogan „Klima der Wertschätzung“ in ihrer 2. Forderung an die Bundesregierung zusammengestellt.
„Wir haben eine Studentenschwemme auf der einen Seite und einen Azubimangel auf der anderen Seite“, bestätigte auch Michael Hilpert, Präsident des ZVSHK. Im Bereich Sanitär Heizung Klima arbeiteten die Fachkräfte längst „am Anschlag“. „Im vergangenen Jahr wurden unter anderem rund 129.000 neue Heizungsanlagen installiert, während 70 % der Stellen offen sind und der Arbeitsmarkt leer ist“, fasste Hilpert die Situation zusammen. Wer bis 2030 die sechs Millionen geplanten Wärmepumpen installieren soll, ist daher eine berechtigte Frage.
Attraktive Arbeitsbedingungen für Handwerks-Karrieren
„Ohne uns wird es nicht funktionieren“, fasste TSD-Präsident Thomas Radermacher die wichtige Stellung des Handwerks in der Gesellschaft zusammen. Auch bei den Tischlern und Schreinern brechen die Bewerberzahlen weg, darüber hinaus stehen 40 % der Betriebe zur Übergabe an, viele mit Nachfolgeproblemen. Auch hier sei die Politik gefordert, junge Menschen auf dem Weg in die Selbstständigkeit finanziell zu fördern. „Eine Handwerks-Karriere muss sich lohnen, und davon muss man die Jugendlichen und ihre Eltern auch überzeugen“, erklärte Radermacher.
„Zudem müssten auch die Arbeitsbedingungen attraktiver gestaltet werden“, stimmte Ralf Kutzner zu. Hier seien Arbeitszeiten, Altersversorgung und Stärkung der Tarifbindung einige Hebel, an denen man ansetzen sollte. Die Bedeutung des Handwerks für die Gesellschaft sei nicht zu unterschätzen: „Ohne Handwerker wird gar nichts mehr installiert, gewartet und repariert.“
Tarifbindung? Für alle am Tisch selbstverständlich
Bei der Frage zum Thema Tarifbindung waren sich alle Teilnehmer am Tisch einig. „Wir stehen bereits seit 1995 mit unseren Elektrohandwerkern zu 100 % zur Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge – und das gilt auch auf allen Baustellen, was manch einer vergisst“, erklärte Lothar Hellmann. Auch Erwin Kostyra bekannte sich klar zum Tarif: „Bei den Kunden muss wieder ins Bewusstsein kommen, dass ein Innungsbetrieb ein Qualitätssiegel ist.“ Bei Dumping-Angeboten sei zwar der Preis für den Kunden im ersten Moment verlockend, aber die Qualität sei nicht vergleichbar.
„Wer keine Tariflöhne zahlt, bekommt auch keine guten Leute“, fasste Thomas Radermacher zusammen. Die Idee, eine Auszubildendenvergütung entsprechend des Mindestlohns einzuführen, sah er hingegen kritisch: „Das würde unser duales Ausbildungssystem zerstören und die Betriebe überfordern.“
Ausbildung im Handwerk ist nie eine Sackgasse
Auf die Frage, was die Handwerksverbände eigentlich selbst unternehmen, um Nachwuchs zu begeistern, konnte Lothar Hellmann auf die E-Zubis verweisen. Die Internetseite richtet sich mit Elektro-Hacks, E-Fluencern, Social Media und Videos direkt an die junge Zielgruppe, bietet aber auch Unterrichtsmaterial für Lehrer. Durch die Neuordnung der Berufe im Elektrohandwerk ist seit August 2021 zudem mit dem Elektroniker für Gebäudesystemintegration ein neuer Beruf im Portfolio, der die für junge Menschen spannenden Thema Smart Home, Digitalisierung und Klimaschutz in den Fokus rückt.
Auch die anderen Verbände gehen z.B. in Schulen aktiv auf Jugendliche zu. Bei den Tischlern gibt es z.B. die „Born 2B Tischler“-Kampagne. Trotz stabiler Azubi-Zahlen sieht man auch hier, dass der Bedarf zukünftig wachsen wird. Man müsse dafür sorgen, dass Arbeit im Handwerk als „Premium-Arbeit“ wahrgenommen wird. „Eine Ausbildung im Handwerk ist nie eine Sackgasse“, sagte Thomas Radermacher und erinnerte daran, dass man nach Ausbildung und Gesellenzeit auch ohne Abitur studieren kann, wenn man es möchte.
Junge Menschen fördern und fit machen
Erwin Kostyra, Präsident vom Bundesverband Metall, gab allerdings auch zu bedenken, dass nicht alle Jugendlichen schon das nötige Rüstzeug im Gepäck hätten: „Die Ausbildungsfähigkeit ist leider nicht immer gegeben.“ Manchmal scheitere es an der Sprache, manchmal an der Mathematik. Umso wichtiger seien Vorbereitungskurse, die diese Jugendlichen für die Ausbildung fit machen, fand auch Lothar Hellmann. Gleichzeitig stellte er klar, dass eine abgeschlossene Berufsausbildung immer das Ziel sein müsse: „Ein halbes Jahr Schulung ersetzen keine Ausbildung, und auch Kurzeitlehrgänge oder Teilqualifizierungen werden keine Lösung für den Fachkräftemangel sein.“
Ob der Fachkräftemangel in Deutschland durch einen Blick auf ausländische Arbeitsmärkte oder durch die Ausbildung Geflüchteter behoben werden könne, war eine weitere Fragestellung. „Wir sind sehr offen, alle Menschen in unseren Arbeitsmarkt zu integrieren und wir bieten auch Berufsorientierung oder Umschulungen für Geflüchtete an“, erklärte Lothar Hellmann. „Sprachbarrieren sind zu kompensieren“, pflichtete Thomas Radermacher bei. Er gab allerdings auch zu bedenken: „Innerhalb der EU könnte jedoch bei der Such nach Personal der Vorwurf der Rosinen-Pickerei entstehen. Deshalb ist es besser, die Ausbildung der jungen Menschen hier im Lande anzugehen.“
Handwerk ist aktiver Klimaschutz
Es folgte die Frage, ob man nicht unter dem klima- und umweltbewussten Demonstranten der „Fridays for Future“-Bewegung mögliche Anwärter für das Handwerk finden könnte. Das Podium – bestehend aus Herren jenseits der 20 – zeigte sich erfreut und beeindruckt, dass sich junge Menschen aktiv für den Klimaschutz und ihre Zukunft interessieren und einsetzen. „Ja, wir laden diese jungen Menschen herzlich ein. Nachhaltigkeit ist beim Handwerk als Reparierer der Nation immer ein wichtiges Thema. Wir können viel voneinander lernen“, antwortete Thomas Radermacher. Auch Ralf Kutzner schloss sich dieser Einladung an die jungen Leute an: „Handwerk ist aktiver Klimaschutz und Klimapolitik in der Praxis. Kommt ins Handwerk!“