Home Licht+Energie Energieeffizienz Kabel statt Rohre – Potenziale solarelektrischer Haustechnik

Wirtschaftlichkeit von solarelektrischen Wohngebäuden

Kabel statt Rohre – Potenziale solarelektrischer Haustechnik

Dass Wohnhäuser und Gewerbebauten zum überwiegenden Teil mit Solarstrom vom eigenen Dach versorgt werden können und zwar für Strom, Wärme und Elektromobilität, scheint für viele immer noch schwer vorstellbar. Immerhin wird Solarstrom größtenteils im Sommer erzeugt, die meiste Wärme wird aber im Winter benötigt. Wie soll das gehen? Wie können solche Energiekonzepte wirtschaftlich sein und welche neuen Geschäftsmodelle bieten sich dadurch für Wohnungsunternehmen? Um diese Themen drehte es sich auf der Veranstaltung »Kabel statt Rohre – Potenziale der solarelektrischen Haustechnik im Wohnungsbau«, zu der my-PV Anfang November eingeladen hatte. Die Referenten stellten zahlreiche Bauvorhaben aus dem Neubau und Bestand vor, bei denen große Photovoltaikanlagen im Kombination mit anderen Technologien wie Stromspeicher, Infrarotheizung und Leistungsstellern für eine hohe Energieunabhängigkeit sorgen.

Die Vortragsveranstaltung fand bei Moonich in Sauerlach bei München statt
Die Vortragsveranstaltung fand bei Moonich in Sauerlach bei München statt

Die Vortrags- und Diskussionsveranstaltung fand am 9. November 2022 bei der Moonich GmbH in Sauerlach bei München statt. In seiner Begrüßung stellte Lars Keussen, CEO von Moonich, kurz das Portfolio des Unternehmens vor, das vorwiegend  auf elektrische Heiztechnik und Infrarotheizung setzt. Das Unternehmensgebäude in Holzständerbauweise verfügt über eine Pelletheizung im Keller und eine PV-Anlage. Eine zusätzliche Einliegerwohnung wird ausschließlich elektrisch geheizt. Der tagsüber verbrauchte Strom wird komplett selbst erzeugt. Ein Schwerpunkt der Firma liegt bei der Heiztechnik für den gastronomischen und kirchlichen Bereich, etwa mit akkubetriebenen Sitzheizkissen.

Prof. Timo Leukefeld, Dirk Bornhorst (Geschäftsführer IR Integration), Markus Gundendorfer (Vertriebsleiter bei my-PV) und Lars Keussen (CEO von Moonich, von links)
Prof. Timo Leukefeld, Dirk Bornhorst (Geschäftsführer IR Integration), Markus Gundendorfer (Vertriebsleiter bei my-PV) und Lars Keussen (CEO von Moonich, von links)

Vernetzte energieautarke Gebäude

Prof. Dipl-Ing. Timo Leukefeld, Energietechnik-Experte und Dozent an der technischen Universität Freiberg in Sachsen, begann sein Referat mit einer historischen Einordnung und einem ungewöhnlich positiven Blick in die Zukunft. Nach Leukefeld befinden wir uns am Beginn eines »zweiten solaren Zeitalters«. Während das erste solare Zeitalter durch die industrielle Revolution und im Zuge dessen mit der Förderung und Nutzung fossiler Energiestoffe, wie Kohle, Öl und Gas, abgelöst wurde, beginne nun mit dem absehbaren Ende dieser nicht regenerativen Energiequellen das zweite solare Zeitalter. Durch intelligente Nutzung könne Energie in großen Mengen gewonnen werden. Nach seiner Ansicht werde in Zukunft eine »Ökonomie des Überflusses die auf Knappheit gegründete« ablösen.

Für solarelektrische Gebäude dürften dabei die Erreichung von 100 % Autarkie nicht das Ziel sein. Sein Autarkie-Team plane mit 50 bis 70 % Autarkie, da jedes weitere Prozent deutlich höhere Kosten verursache, die in keinem Verhältnis zum Nutzen mehr stünden. Die Haustechnik solle ökologisch und wirtschaftlich sein. Auch empfahl er den Teilnehmern, die größtenteils von Wohnungsunternehmen kamen, nicht auf den Netzanschluss zu verzichten.

Leukefeld plant vor allem Mehrfamilienhäuser, häufig für Wohnungsbauunternehmen und Wohnungsgenossenschaften. Vollflächige Photovoltaikanlagen auf dem Dach und Module an den Südfassaden und Balkonbrüstungen erzeugen rund ums Jahr viel Solarstrom. Ein Speichersystem sorgt dafür, dass der Strom auch zeitversetzt, zum Beispiel abends und nachts, verbraucht werden kann. Dazu kommen effiziente Infrarotheizsysteme, die bedarfsgerecht Wärme in den Wohnungen erzeugen, ohne dass wasserführende Heizungen und Leitungen erforderlich sind.

Leukefeld begründet diesen Ansatz mit den explodierenden Nebenkosten, die sich mittlerweile zu einer zweiten Miete entwickelt hätten. Als »dritte Miete« kämen dazu noch die Kosten für Instandhaltung, Wartung und Reparaturen, die eine zunehmende Belastung für Mieter darstellen.

Die »radikale Vereinfachung« der Haustechnik und der hohe solare Anteil bei weiter sinkenden Erzeugungskosten für Solarstrom versetzen Vermieter in die Lage, ihren Mietern eine Pauschalmiete mit Energieflat für Wohnen, Wärme, Strom und E-Mobilität anzubieten. »Dadurch können sie ihre Einnahmen erhöhen und pro Monat drei bis vier Euro mehr je Quadratmeter verlangen«, sagt er. Für die Mieter bleibe der Mietpreis inklusive Energiepauschale dennoch günstiger als bei dem altbekannten Mietmodell.

Das Konzept der Pauschalmiete mit allen Nebenkosten
Das Konzept der Pauschalmiete mit allen Nebenkosten
(Bild: Vortragsunterlagen Prof. Dr. Timo Leukefeld)

Referenzobjekte der letzten fünf Jahre

Leukefeld präsentierte zahlreiche Referenzen mit dem Energiekonzept sowie Pauschalmiete und Energieflat. Das erste Mehrfamilienhaus, das in Wilhelmshaven steht, wurde schon Ende 2018 bezogen. Wenig später wurden zwei Mehrfamilienhäuser mit dem gleichen Konzept in Lübben im Spreewald in Betrieb genommen.

In Aschersleben in Sachsen-Anhalt baut eine Wohnbaugesellschaft gerade einen alten Plattenbau zum solarelektrisch versorgten Gebäude um. Die Kosten für Strom und Wärme werden nur noch bei monatlich 30 Euro je Wohnung liegen. Der Pauschalmiete wurde mit 11 Euro/m² kalkuliert, berichtete Leukefeld. In Magdeburg wird der nächste Plattenbau umgebaut. Die Gesamtenergiekosten für 32 Wohnungen sollen künftig nur noch etwa 21.150 Euro im Jahr betragen, das sind etwa 660 Euro pro Wohnung. Auch Gewerbegebäude stellte er vor, darunter eine Bäckerei mit Mühle auf der Nordseeinsel Föhr und ein Rechenzentrum in Cottbus.

 

Umbau eines alten Plattenbaus in Magdeburg
Umbau eines alten Plattenbaus in Magdeburg
(Bild: Vortragsunterlagen Prof. Dr. Timo Leukefeld)

Immer häufiger würden Mieter nach einer Notstromfunktion für eventuelle Unterbrechungen des Stromnetzes fragen, berichtet Leukefeld von seinen Auftraggebern. Wenn dies in der Flatrate angeboten werde, könnten Vermieter es mit einkalkulieren. »Eine hohe Autarkie und ein bisschen Strom zukaufen, das ist in unseren Augen die optimale Lösung für die Zukunft«, fasste er zusammen. »Und mit der Solarenergie braucht auch niemand zu frieren.« Das will er sogar den Nachbarn der Bewohner der energieautarken Gebäude ermöglichen. Mit denen werden die Häuser häufig vernetzt, damit die Nachbarn im Sommer überschüssigen Solarstrom zum günstigen Preis nutzen können.

Zum Abschluss seiner Referats plädiert Leukefeld nochmals für einen positives Ansatz bei der Verwirklichung der Energiewende. Statt Angst zu schüren mit Weltuntergangsszenarien, Verboten und Sparappellen müsse man die Bevölkerung für die Möglichkeiten und Chancen moderner Energiekonzepte begeistern. Er zitiert dabei den bekannten US-amerikanischen Architekten Richard Buckminster Fuller: »Man schafft niemals Veränderung, in dem man das Bestehende bekämpft. Um etwas zu verändern, baut man neue Modelle, die das Bestehende überflüssig machen.«

Solarelektrische Hybridlösung für Modernisierung

Dirk Bornhorst, Geschäftsführer des Planungsbüros IR Integration aus Singen, zeigte anschließend am Beispiel verschiedener Bauvorhaben auf, wie wichtig die zielgerechte Vorgehensweise in der Planung ist. Als Beispiel präsentierte er ein Bürogebäude mit Wohnung in Konstanz. Bei dem Gebäude erzeugen Module mit 130 kW auf dem Flachdach, in der Absturzsicherung auf dem Dach und in allen vier Fassaden die Energie.

»Wir haben frühzeitig mit dem Architekten gesprochen und ihm klargemacht, dass die Photovoltaikanlage erste Priorität hat«, berichtete er. Entsprechend wurden dann die Fassaden und die Fenster geplant. »Infrarotheizungen als technisch einfaches Heizsystem sind der Katalysator für den Einsatz von fassadenintegrierten Photovoltaikanlagen«, ist Bornhorst überzeugt. Mit dem senkrechten Neigungswinkel sind sie optimal für die Solastromerzeugung im Winter, wenn die Sonne tief steht.

Bürogebäude mit Wohnung in Konstanz
Bürogebäude mit Wohnung in Konstanz
(Bild: IR Integration)

Weiterhin stellte Bornhorst ein Energiekonzept vor, das er als solarelektrische Hybridlösung für die Modernisierung von Bestandsgebäuden bezeichnete. Bei diesem Ansatz wird die Öl- oder Gasheizung durch eine kleine Wärmepumpe ersetzt, die dann den Grundbedarf mit einer geringen Vorlauftemperatur deckt. Die Spitzenlasten werden raumweise durch eine Infrarotheizung abgedeckt. Bornhorst plädierte dafür, die Kosten, die anfallen, wenn man ein wassergeführtes Heizsystem mit einer leistungsstarken Wärmepumpe ersetzt, lieber in die Photovoltaikanlage zu investieren und eine hohe Autarkie zu ermöglichen.

Hohe Eigenversorgung mit Solarstrom dank Leistungsstellern

Das Abschlussreferat hielt Markus Gundendorfer, Vertriebsleiter bei my-PV. Das Unternehmen wurde 2011 als PV-Systemhaus gegründet. 2013 wurde mit ELWA ein PV-Warmwasserbereitungsgerät entwickelt, das Solarstrom für die Erzeugung von Warmwasser nutzt. Mit AC Thor wurde dann 2017 ein PV-Power-Manager für Warmwasser, elektrische Wärmequellen und Heizung entwickelt. Gundendorfer definierte den Begriff »solarelektrisch«. Ein solches Gebäude deckt mindestens 50 Prozent des Strom- und Wärmebedarfs mit einer entsprechend dimensionierten Photovoltaikanlage.

Gundendorfer wies darauf hin, dass bei einem Neubau die Heizkosten nur ungefähr ein Viertel der Gesamtenergiekosten ausmachen. Der Rest verteilt sich ebenfalls zu jeweils einem Viertel auf den Strom- und Warmwasserverbrauch sowie auf die Elektromobilität. Bei einem unsanierten Altbau sind die Heizkosten hingegen für fast drei Viertel der Energiekosten verantwortlich. Für ein vernünftiges Energiekonzept müssen man daher alle vier Bereiche Im Blick haben.

Übersicht über die Enegieverbräuche im Altbau und im Neubau
Übersicht über die Enegieverbräuche im Altbau und im Neubau
(Bild: my-PV)

Der Warmwasserbedarf ist dabei der Dreh- und Angelpunkt des Energiekonzeptes, denn warmes Wasser wird rund ums Jahr in etwa gleicher Menge benötigt. Dementsprechend brauche es für eine solarelektrische Haustechnik eine netzgekoppelte Photovoltaikanlage, einen Warmwasserspeicher und eine elektrische Fußboden/Flächenheizung oder Infrarotheizung, so Gundendorfer. Essenziell sei zudem, dass das Gebäude gut gedämmt ist und einen Heizwärmebedarf von maximal 50 kWh/m² im Jahr hat.

Im Anschluss stellte Gundendorfer mehrere Gebäude mit Photovoltaik vor, bei denen der Leistungssteller AC Thor von my-PV die Energietechnik regelt und für eine hohe Eigenversorgung mit Solarstrom sorgt. In den Gebäuden gibt es entweder eine Infrarotheizung oder elektrische Flächenheizungen, aber keine Wärmepumpe.

Neben anderen stellte er das 2021 fertiggestellte Firmengebäude von my-PV in Neuzeug in Oberösterreich vor. Das »voll elektrische Gebäude« hat Solarmodule mit 60 kW Leistung auf dem Dach, 30 kW an der Südfassade und 10 kW an der Ost- sowie Westfassade. Die Fundamentplatte dient als Speichermasse für die elektrische Bauteilaktivierung, im Obergeschoss gibt es Heizmatten als elektrische Fußbodenheizung. Leistungssteller von my-PV regeln die Energieverteilung für die Warmwasserbereitung und die Heizung. Der Bericht zur Halbjahresauswertung des solarelektrischen Firmengebäudes ist auf der Website von my-PV öffentlich einsehbar. Die Jahresenergiebilanz wird in den kommenden Wochen erst veröffentlicht, die Gäste vor Ort erhielten eine erste Vorabinformation. Demnach erreicht das Gebäude einen Autarkiegrad von 60%.

Das 2021 fertiggestellte Firmengebäude von my-PV in Neuzeug (Oberösterreich)
Das 2021 fertiggestellte Firmengebäude von my-PV in Neuzeug (Oberösterreich)
(Bild: my-PV)

Mit Blick auf Einfamilienhäuser plädierte Gundendorfer dafür, zwei Räume auszuwählen, die vorrangig mit Solarstrom versorgt werden und die auch »etwas überhitzt werden« können, zum Beispiel die Küche und das Wohnzimmer. Voraussetzung für die Nutzung der Leistungssteller sind Temperaturfühler in den Räumen. Wichtig ist: »Die Photovoltaikanlage muss gesetzt sein, danach kann die weitere Technik geplant werden.«

Über den Autor
Autorenbild
Michael Wanner

Redaktion »de«

Über die Firmen
Moonich GmbH
Sauerlach
my-PV GmbH
Neuzeug
Newsletter

Das Neueste von
elektro.net direkt in Ihren Posteingang!