Prävention ist der beste Schutz für das Unesco-Weltkulturerbe und Wahrzeichen der Stadt Aachen (Bild 1). Denn für historische Bauten wie den Aachener Dom stellt Feuer eine der größten Gefahren dar. Als mahnendes Beispiel dafür steht das Flammeninferno in der Kathedrale Notre-Dame in Paris im April 2019: Die Kosten für den Wiederaufbau summieren sich voraussichtlich auf einen hohen zweistelligen Millionenbetrag. Gar nicht beziffern lässt sich der ideelle Schaden durch den unwiederbringlichen Verlust einzigartiger Kunst- und Kulturschätze.
Schutzkonzept besteht aus Detektion und Prävention
Gut 400 km nordöstlich der französischen Hauptstadt gab es im »Hohen Dom zu Aachen« bis vor kurzem nur im Dachstuhl eine Brandmeldeanlage. Der gesamte Sakralbereich mit seinem hölzernen Gestühl, den Altären und der Orgel sowie textilen Paramenten war weitgehend ungeschützt. Um mögliche Brandursachen zu vermeiden, bestand auch dringender Handlungsbedarf bei der Elektroinstallation, die nicht mehr dem anerkannten Stand der Technik entsprach. Daher spielte im neuen, präventiven Schutzkonzept für den Aachener Dom neben einem speziell entwickelten Kamerasystem inklusive KI-basierter Bilderkennungssoftware auch die komplette Neuinstallation der Spannungsverteilung eine tragende Rolle.
»Um ein Höchstmaß an Sicherheit bei der Elektroversorgung im Dom zu garantieren, entschieden wir uns für das bewährte AFDD-Portfolio unseres langjährigen Partners ABB Stotz-Kontakt«, berichtet Michael Wagner, Geschäftsführer der ortsansässigen Wagner & Müller GmbH & Co. KG. Seine Firma ist für die Projektierung der neuen Spannungsverteilung und den Verteilerbau verantwortlich. Dafür wurden in allen einphasigen Endstromkreisen für den präventiven Brandschutz AFDDs eingesetzt.
Das betrifft insbesondere die Endstromkreise im Dachgebälk, da hier keine regelmäßigen Sichtproben durchgeführt werden können. Erschwerend stehen viele Leitungen im direkten Kontakt mit Materialien, die eine große Brandlast aufweisen und aufgrund von Staub und Holz eine geringere Zündenergie benötigen (Bild 2). Für die Vor-Ort-Installation inklusive Strom- und Datenverkabelung ist das Smart-Building-Unternehmen e-line aus dem nahegelegenen Baesweiler zuständig, das für diesen Projektpart gleichzeitig als Generalunternehmer agiert.
Elektrischer Funkenflug – ein oft unterschätztes Risiko
Die erwähnte Abkürzung AFDD steht für Arc Fault Detection Device (Fehlerlichtbogen-Schutzeinrichtung) und wird umgangssprachlich auch als Brandschutz- oder Kontaktfehlerschalter bezeichnet. »Unser breitgefächertes AFDD-Portfolio verbessert die elektrische Sicherheit dank automatischer Erkennung von Fehlerlichtbögen. Damit sinkt die Gefahr eines elektrisch gezündeten Brandes«, erläutert Tim Hippler, Vertriebsbeauftragter für Industrie und Maschinenbau im ABB-Geschäftsbereich Elektrifizierung.
Jeder kennt das Phänomen elektrischer Lichtbögen – etwa den knisternden Funkenflug an der Oberleitung einer Straßenbahn oder beim Ziehen eines Steckers unter Last. Generell entstehen solche Lichtbögen bei einer mangelhaften Isolation zwischen zwei unterschiedlichen Potentialen. Hierbei kann es sich um die Isolation zwischen zwei Außenleitern (Phase zu Phase/Erde, auch paralleler Fehlerlichtbogen genannt) oder um eine mangelhafte Kontaktstelle innerhalb einer Phase (auch serieller Fehlerlichtbogen genannt) handeln. In beiden Fällen sind zwei leitende Materialien mit unterschiedlichem Potential in unmittelbarer Nachbarschaft, sodass es zu einem Lichtbogenüberschlag kommen kann.
Serielle Fehlerlichtbögen sind in der Stromstärke begrenzt, da der maximale Lichtbogenstrom von der angeschlossenen Last begrenzt wird. Daher werden diese Fehlerlichtbögen im Normalfall nicht von einem Leitungsschutzschalter oder Fehlerstrom-Schutzschalter (da kein Strom gegen Erde) erkannt. Die freiwerdende Energie bei einem seriellen Fehlerlichtbogen kann jedoch schnell die Zündkraft erreichen, um einen Schwelbrand zu erzeugen oder auf umliegende Konstruktionsteile bzw. Materialien überzuspringen.
Im Aachener Dom sind das vor allem die Holzkonstruktionen des Dachgebälks und die überwiegend aus brennbaren Materialien bestehenden Einrichtungen. Grundsätzliche Auslöser solcher seriellen Fehlerlichtbögen können im Aachener Dom das Lösen von Klemmstellen innerhalb der Anlage, aber auch innerhalb der Endgeräte sein. Nagetierverbiss, kleine Biegeradien und gequetschte Kabel kommen erschwerend hinzu.
Da diese Einflüsse erst schleichend auftreten, können mögliche Fehlerursachen nicht von Anfang an ausgeschlossen werden. Gerade Fehler von an der Steckdose angeschlossenen »Anlagenteilen«, also im Prinzip die Laieninstallation von Endgeräten, birgt hier Gefahren. Eine regelmäßige Überprüfung der Anlage soll solche Fehler zwar beheben, den höchsten unterbrechungsfreien Schutz bietet allerdings nur ein AFDD in Kombination mit einer vollumfänglichen Brandmeldeanlage.
Mehr Sicherheit durch Spannungs-,
Frequenz- und Stromanalyse
Eine permanente Prävention quer durch die gesamte elektrische Versorgungsinfrastruktur ist sehr wichtig. Die AFDD-Technologie von ABB analysiert kontinuierlich deren Frequenz-, Spannungs- und Strombild, um charakteristische Muster zu erkennen, die auf eine Lichtbogengefahr hindeuten. In solchen Fällen werden die betroffenen Stromkreise sofort vom Netz getrennt. Damit sinkt das Risiko von elektrisch gezündeten Bränden, die ihre Ursache in Isolations- oder Kontaktierungsfehlern bei der Installation haben, signifikant.
Für die Neuinstallation im Aachener Dom plante die Projektierungsfirma Wagner & Müller je Endstromkreis mit einem AFDD mit integriertem Überstrom- und Fehlerstromschutz (Bild 3). Neben der Vermeidung von Fehlerlichtbögen schützen diese vor Überlast und Kurzschluss, aber auch bei einem klassischen Fehlerstrom. Dadurch lässt sich nicht nur der vorbeugende Brandschutz im Dom realisieren, sondern auch der Leitungs- und Personenschutz. Wagner & Müller wird mit diesen Komponenten der DIN VDE 0100-420 gerecht, ohne erhebliche Eingriffe in die Bausubstanz einplanen zu müssen. Die Komplexität der elektrischen Anlage bleibt durch die kombinierten Schutzgeräte dabei überschaubar.
Im Sommer 2022 starteten die ersten Arbeiten für neue Strom- und Datenverkabelung, die künftig auch als Basis für die frühzeitige Brandherderkennung per Kamera und KI-Software dient. Im Vergleich zu anderen Installationsprojekten dieser Dimension kommen im Aachener Dom die Vorgaben des Denkmalschutzes als besondere Herausforderung hinzu. Finanziert wird das neue Brandschutzsystem für die 1200 Jahre alte Wallfahrtskirche und Grabstätte Karls des Großen durch Spendengelder, die der Aachener Karlsverein-Dombauverein akquirierte, sowie durch eine Förderung des Landes NRW.
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