Das Planierschiff, das Sedimente in bestimmten Hafenbereichen so verschiebt, dass sie von Saugbaggern besser erreicht und aufgenommen werden können, ist ein sogenannter »Zweiweller«. Es verfügt über zwei Propeller und zwei Wellenstränge. Je Wellenstrang sind ein Dieselmotor als Hauptantrieb und ein Elektromotor für den emissionsarmen Teilbetrieb verbaut. Der elektrische Antrieb wird genutzt, um das Schiff geräusch- und emissionsarm durch den Hafen zum jeweiligen Einsatzort zu bewegen. Dort wird auf den Hauptantrieb umgeschaltet, um die Planierarbeiten durchzuführen. Die E-Motoren der Baugröße 200 verfügen jeweils über eine Leistung von 60 kW. Für die volle Manövrierfähigkeit stehen auch im reinen Elektro-Modus beide Propeller zur Verfügung. Möglich ist es durch die Redundanz, nur einen Wellenstrang zu nutzen, sollte ein Propeller einmal ausfallen.
Hybride Antriebssysteme von Reintjes
Für das gesamte Hybridsystem verantwortlich zeichnet Reintjes, erfahrener Spezialist für Getriebe in marinen Anwendungen. Zum Lieferumfang zählten das Wendegetriebe, die E-Motoren, die flexible Kupplung zwischen E-Motoren und Getriebe, die Frequenzumrichter, die für die Steuerung der E-Motoren zuständig sind, sowie das Schiffskontrollsystem mit Fahrhebel und Kontrollkabinett.
Die »Chicago« ist das neueste Schiff, das in den vergangenen zwei Jahren mit einem solchen Hybridsystem gebaut wurde (Bild 1). Reintjes hat Erfahrung in dem Bereich und bereits 2012 das Forschungsschiff »Geo Focus« sowie 2016 bereits in Kooperation mit BEN Buchele das Wattentaxi »Liinsand« mit Hybridantrieben ausgestattet, als diese Antriebsform noch ein Novum war. Gerade in der Wattenmeer-Region gelten hinsichtlich der Emissionen strenge Regularien, die dank der rein elektrischen Fahrten in bestimmten Zonen eingehalten werden konnten. Ebenso eignet sich der Elektrobetrieb sehr gut für Langsamfahrten des Forschungsschiffs, um Messdaten zu erheben.
Auch in einigen Hafenzonen wird Wert auf emissions- und geräuscharme Schiffe gelegt, sodass Reintjes auch hier zu Rate gezogen wurde. Besondere Abstimmungsarbeit ist bei einem Hybridsystem hinsichtlich des Wechsels zwischen den Fahrmodi erforderlich. Das Umschalten von Elektro- auf Dieselbetrieb kann beispielsweise über die Fahrhebelstellung erfolgen: Wenn der Fahrhebel leicht bewegt wird, fährt das Boot elektrisch, und wenn eine bestimmte Hebelstellung überschritten wird, kommt der Dieselmotor hinzu. Alternativ kann auch die Umstellung per Knopfdruck ausgelöst werden, wie es bei der Chicago der Fall ist: Wenn der Fahrhebel auf »Neutral« steht, kann per Knopfdruck in den elektrischen Betrieb gewechselt werden, der dann ebenfalls über den Fahrhebel gesteuert wird. Dies kann auch mitten im Betrieb und bei noch drehendem Propeller erfolgen.
Wassergekühlter E-Motor mit hoher Nennleistung
Der E-Motor wiederum stammt aus der Elektromotorenschmiede von BEN Buchele aus Nürnberg, die auf Sondermaschinen nach individuellen Vorgaben spezialisiert ist. Der elektrische Antrieb sollte auf dem Schiff zum einen die rein elektrische Fahrt mit bis zu sechs Knoten Geschwindigkeit ermöglichen sowie Strom während der Nutzung der Dieselmotoren erzeugen, um die Batterien wieder aufzuladen.
Für diese Funktionalitäten forderte Reintjes bei BEN Buchele einen gewichtsoptimierten wassergekühlten Motor mit folgenden Parametern an: 60 kW Leistung, Baugröße 200, 2.130 min-1 Nenndrehzahl, mit Frequenzumrichterbetrieb, geeignet für Dauerbetrieb S1.
Die geforderte Drehzahl ist immer entscheidend und sollte bei der Konstruktion möglichst dicht erreicht werden, indem Verluste gering gehalten und höhere Wirkungsgrade bzw. eine höhere Motoreffizienz – also eher IE2 oder IE3 – angestrebt werden. Wenn in der Anforderung z.B. 3.200 min-1 angegeben sind, muss der Motor meist etwas höher ausgelegt werden, um im Betrieb dann auf diese Drehzahl zu kommen. Durch die Verwendung von höherwertigem Blech für Stator- und Rotorpakete lassen sich die Verluste minimieren und der Wirkungsgrad steigern.
»Um die verschiedenen Modi im Betrieb abbilden zu können, muss der Motor solch hohe Drehzahlen zulassen und über ein breites Drehzahlkennfeld diese Nennleistung abrufen können«, weiß Louis Zander, Director Sales & Service bei Reintjes Hamburg. »Bei diesem Projekt hatten wir die gut 2-fache Nenndrehzahl. Das bedeutet, dass der Motor mit bis zu 4300 Umdrehungen im PTO-Betrieb (»Power-Take-Off«; Generatorbetrieb) läuft, aber schon bei 2000 Umdrehungen die 60 kW zur Verfügung haben soll, damit er auch im rein elektrischen Fahrmodus mit seiner vollen Leistung die 6 kn erreicht. Ein solches Kennfeld ist mir aktuell nur von den Motoren von BEN Buchele bekannt.«
Hans Buchele und Josef Edelmann gründen 1931 unter dem Namen »Buchele & Edelmann« eine Reparaturwerkstatt für elektrische Maschinen und Apparate mit einem Elektrogroßhandel in Nürnberg. Drei Jahre später beginnt der Betrieb mit der Herstellung von Elektromotoren für Gleich-, Dreh- und Wechselstrom. Seit dieser Zeit befasst sich die BEN Buchele GmbH mit elektrischer Antriebstechnik für den industriellen Bedarf. Bis heute durch die Gründungsfamilie in dritter Generation geführt, stellt man in Nürnberg elektrische Maschinen im Niederspannungsbereich in Sonder- und Spezialausführungen für diverse Branchen her.
Die Fertigung umfasst heute Motoren im Leistungsbereich von 0,25 kW bis 1300 kW. Ergänzend zu den eigenen Produkten handelt man bei BEN Buchele außerdem mit Elektroausrüstungen und Zubehör für spezielle Anwendungsfälle. Die im Beitrag angesprochenen Schiffsmotoren werden seit Mitte der 1960er-Jahre produziert. Heute sind im traditionsreichen Nürnberger Unternehmen ca. 80 Mitarbeiter beschäftigt .
(Quelle: https://www.benbuchele.de/).
Wasserkühlung für geringere Abwärme
Die Wasserkühlung ist ein weiteres Plus, das dem Wärmekonzept für den Maschinenraum entgegenkommt. Die gesamte Leistungselektronik, von den Batterien bis zum Frequenzumrichter, erzeugt bereits eine gewisse Abwärme. Wenn die E-Motoren wassergekühlt sind, fällt hier keine weitere Wärmequelle im Motorraum an. Entscheidender Vorteil eines wassergekühlten Motors ist zudem sein geringes Gewicht und seine kompakte Bauweise, wodurch er platzsparend eingebaut werden kann. Dabei verfügt er über die gleiche Leistung wie ein oberflächengekühlter Motor deutlich höherer Baugröße. Bei der Variante wird die Wärme über eine möglichst große Oberfläche abgeführt, um Verluste gering zu halten, während die Kühlung bei der wassergekühlten Variante über den Wassermantel innerhalb des Motors erfolgt. So kann man die Bauhöhe relativ klein halten.
Vorteilhaft an den BEN-Buchele-Motoren ist zudem der flexible Multifußanbau, sodass der Motor je nach Gegebenheit auf dem Schiff flexibel angebracht werden kann. Die E-Motoren sitzen bei dem Hybridsystem direkt am Wendegetriebe. Für beide Motoren bleibt nicht sehr viel Platz; daher ist die kleine und kompakte Baugröße ideal, ebenso wie der Multifußanbau, der z. B. auch eine seitliche Anbringung mit dem Fuß Richtung Träger ermöglicht hat (Bild 2).
Auch die Lage des Klemmkastens kann BEN Buchele auf Kundenwunsch anpassen. Üblicherweise liegt der Klemmkasten rechtsseitig; bis zum Montageprozess kann hier aber auf Kundenwunsch eine Änderung vorgenommen werden. Reintjes entschied sich dafür, den Klemmkasten obenauf zu montieren. Andreas Rödel, stellvertretender Vertriebsleiter bei BEN Buchele: »Solange der Motor noch nicht auf dem Lkw ist, können wir immer noch eingreifen und z. B. einen Klemmkasten umbauen. Es ist immer einfacher, dies uns durchführen zu lassen, als dass der Kunde selbst den Klemmkasten öffnet und Kabel anders führt.«
Ein Zusatzelement, das hier verbaut wurde, ist ein Inkrementalgeber. Ein solcher wird häufiger bei einem Frequenzumrichterbetrieb gefordert, da er ein Feedback liefert, welche Drehzahl in dem Moment abgegriffen wird. So erhält die Steuerung ausreichend Daten darüber, wie die Motoren gerade betrieben werden.
Eine Besonderheit ist die Insellösung über den Gleichstromzwischenkreis. Ein Standard-Frequenzumrichter würde, um Strom einzuspeisen, sich auf ein vorhandenes Schiffsnetz aufschalten, um dort die Leistung einzubringen. Wenn aber im PTO-Fall dort Energie eingespeist wird, müsste ein Generator mit fast ähnlicher Leistung wie die PTOs laufen, um nicht ein Lichtflackern oder ähnliche Unreinheiten des Netzes auszulösen. Der Vorteil der Gleichstromlösung mit der Inselnetzfähigkeit ist die Unabhängigkeit vom Schiffsnetz. Über die PTOs kann Strom erzeugt werden und dann aus dem Gleichstromnetz auch das Bordstromnetz komplett versorgt werden. Der ebenfalls vorhandene Dieselgenerator ist somit nur für den Notfall gedacht. Vorteilhaft ist auch die Effizienz der Frequenzumrichter, die bei einem Gleichstromnetz fast doppelt so hoch ausfällt. Da das Bordnetz deutlich weniger Strom verbraucht als die beiden Generatoren erzeugen können, werden die Batterien im PTO-Betrieb sehr effizient geladen.
Das Unternehmen Reintjes existiert seit über 140 Jahren. Es wurde durch den Namensgeber Theodor Reintjes im Jahr 1879 als kleine mechanische Werkstatt in Emmerich gegründet. Man stellt bei der Reintjes GmbH seit 1955 am Hauptsitz in Hameln maritime Getriebe für den weltweiten Markt her (Bild 3). Seit 1961 gehört das Unternehmen der Eugen-Reintjes-Stiftung, welche zur Förderung des Gesundheits- und Sozialwesens in der Stadt Hameln gegründet wurde. Inzwischen arbeiten in der internationalen Unternehmensgruppe weltweit über 500 Mitarbeiter in zehn Tochtergesellschaften zusammen mit zahlreichen Vertriebs- und Servicepartnern (https://www.reintjes-gears.de/).
Wartungsarmer, sicherer Betrieb
Bisherige Hybridlösungen haben sich bei Reintjes und BEN Buchele bewährt. Sowohl beim Forschungsschiff Geo Focus als auch beim Wattentaxi laufen die elektrischen Hilfsantriebe seit Inbetriebnahme ohne Ausfälle oder größere Wartungseinsätze. Was die BEN-Antriebe von vergleichbaren Motoren von der Stange unterscheidet, ist der Service-Gedanke über die Konstruktion hinaus. Für Reintjes bleiben die Experten von BEN Buchele über die Motorlieferung hinaus ansprechbar, sollten beim Einbau oder während des Betriebs Probleme auftreten.
Die Wahl eines asynchronen Motors, wie BEN Buchele ihn baut, ist zudem ein Sicherheitsaspekt. Auch wenn die E-Motoren nicht bestromt sind – also während des Betriebs im Diesel-Modus – laufen sie einfach mit, ohne Leistung abzugeben, und können so keinen Kurzschluss verursachen. Ein permanenterregter Motor wäre mit der hier verwendeten Lösung nicht denkbar.
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