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Interkultureller Workshop an der DHBW-Mosbach

Handwerk heute - ein Vergleich internationaler Ausbildungskonzepte

»Ist das Glas halb voll oder halb leer«, so die Frage nach dem ersten Tag des Workshops. Die eindeutige Antwort: »Das Glas für das Handwerk ist in Deutschland halbvoll.«

Vergleich der beiden Ausbildungssysteme

Die Stärke des deutschen Ausbildungssystems ist die duale Ausbildung, welche Theorie und Praxis optimal integriert und darüber eine Handlungskompetenz schafft. Durch die Tatsache, dass nicht direkt das Gymnasium als Eingangsvoraussetzung benötigt wird, bietet das System auch den eher praxisorientierten Jugendlichen eine Chance zur sozialen Integration in ein Unternehmen. Das Erleben der Praxis und zu wissen, wofür man lernt sich, hilft vielen Jugendlichen dabei, sich zu positiv weiterzuentwickeln. Es entsteht für viele Jugendliche ein Anreiz sich den schulischen Herausforderungen zu stellen, welche sehr praxisbezogen und komplementär sind zu den Anforderungen im Betrieb. Dagegen schließt in Kolumbien ein großer Teil der Jugendlichen die 11 Jahre Schule nicht mit dem Abitur (ICFES-Test)ab, sondern scheidet vorzeitig aus der Schule aus und geht direkt, ohne jegliche Qualifikation, arbeiten. Dementsprechend niedrig ist die Bezahlung und eine positive Weiterentwicklung ist meist nicht mehr möglich. Die hohe Anzahl unqualifizierter Arbeiter hemmt die wirtschaftliche Entwicklung des Landes.

Vergleich der Ausbildungskonzepte von Deutschland und Kolumbien Quelle: DHBW-Mosbach
Vergleich der Ausbildungskonzepte von Deutschland und Kolumbien Quelle: DHBW-Mosbach

Gleichzeitig sorgen in Deutschland die Berufs- und Meisterschule mit einem Jahr Vollzeit-Programm für eine fundierte, auf das jeweilige Gewerk bezogene praktische Ausbildung für das Berufsleben. Die praktische Meister-Ausbildung ist heute europaweit eingeordnet entsprechend dem Bachelor-Abschluss und besitzt damit auch eine hohe Wertigkeit. Gleichzeitig ist die Meister-Ausbildung auch die perfekte Vorbereitung auf die Selbständigkeit und erleichtert damit das erfolgreiche Gründen eines eigenen Handwerksunternehmens. In Kolumbien hingegen ist die schulische, theoretische Ausbildung entkoppelt von der Praxis. Die SENA-Ausbildung besitzt gesellschaftlich einen sehr niedrigen Stellenwert und entspricht bei weitem noch nicht dem Bachelorniveau. Zudem ist durch die Theorieorientierung nicht gewährleistet, dass ein erfolgreiches Arbeiten im Beruf erreicht wird.

In der Konsequenz entspricht deswegen in Lateinamerika die praktische Ausführung von Handwerksleistungen nicht den hiesigen Ansprüchen, was aufgrund einer nicht vorhandenen Gewährleistung von Mängeln insbesondere für die Konsumenten ein erhebliches Problem darstellt. Gleichzeitig besitzen entsprechende Ausbildungen einen sehr geringen Stellenwert in der Gesellschaft. Die duale Handwerker-Ausbildung ist dagegen die Basis für die deutsche Wirtschaftsstärke und das starke deutsche Handwerk.

Anspruch an Hausbau in Deutschland

Der deutsche Hausbau ist geprägt durch sehr hohe Ansprüche an die Qualität der Bauausführung sowie die Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit basierend auf gesetzliche Vorgaben und den Wünschen der anspruchsvollen Kunden. Eine wesentliche Vorgabe ist die jeweils aktuelle Energieeinsparverordnung, welche die Basis im Hinblick auf den maximalen Energieverbrauch und die notwendige Wärmedämmung für Neubauten vorgibt. Daraus resultiert die Tatsache, dass in deutschen Gebäuden heute vielfach eine Dreifachverglasung vorherrscht und eine Zwangslüftung der Räume mit einer Wärmerückgewinnung erfolgt. Diese Vorgaben verteuern natürlich das Bauen in Deutschland maßgeblich.

Hinzu kommen entsprechende Anforderungen der Kunden im Hinblick auf die Technik sowie die Optik. In Deutschland ist es “state of the art“, dass im Bad die Installationstechnik hinter der Wand verschwindet, was entsprechend hochwertige, langlebige Produkte benötigt. Bei defekten Produkten der Installationstechnik kommen auf die Verbraucher sehr hohe Kosten zu. Hochwertige Haustechnik und Elektroinstallationen sowie entsprechende individuelle Innenraumgestaltung und Möbel und Accessoires sind beim Konsumenten hoch im Kurs und sind häufig extrem teuer. Individualität hat ihren Preis, jedoch gibt es bei vielen Konsumenten, insbesondere der Erbengeneration ausreichend Vermögen, welches Investitionen in individuelles Wohnen und Leben ermöglicht. Zudem nehmen die Automatisierungsansprüche zu: Smart Home steht heute noch am Anfang, wird aber sicherlich in den nächsten Jahren an Bedeutung stark gewinnen und durch eine komplette Vernetzung ergeben sich viele neue Optionen. In den Städten führen galoppierende Bodenpreise dazu, dass das Wohnen dort inzwischen zum Luxus wird.

Die Ansprüche an das Handwerk nehmen damit sehr stark zu. Auf der anderen Seite besteht aber für die Zukunft in Deutschland ein klar abgegrenzter Markt für einen einfachen, standardisierten Hausbau im Bereich des sozialen Wohnungsbaus, der durch die aktuelle Flüchtlingswelle eine neue Bedeutung und Dimension erhalten wird. Auch im Infrastrukturbereich gibt es einen großen Investitionsbedarf im Straßenbau und bei vielen weiteren staatlichen Aufgaben. Der Markt für das Handwerk wird damit in den nächsten Jahren weiter wachsen.

In Kolumbien gibt es ebenfalls einen »goldenen Boden« für das Handwerk, zunächst durch den Bedarf an Straßeninfrastruktur mit einer schnellen Verbindung von der Karibik hin zum Pazifik durch Kolumbien hindurch, aber auch zur internen Vernetzung im Land. Dazu kommt eine junge, wachsende Bevölkerung mit einer aufstrebenden Mittelschicht, welche den Wunsch nach besserem Wohnen verfolgt.

Allerdings wird dort heute immer noch sehr einfach gebaut, mit einer Einfachverglasung, häufig zum einfachen Aufschieben ohne jegliche Wärmeisolierung. Bei den gemäßigten Höhenlagen in Kolumbien mit angenehmen, das ganze Jahr über gleichen Temperaturen ist dies auch recht unproblematisch, während auf Meeresniveau sehr hohe Temperaturen mit dem Einsatz von Klimaanlagen sowie auf der Höhenlage in Bogota mit recht niedrigen Temperaturen eine höhere Wärmeisolierung durchaus sinnvoll wären.

Interessant ist die Tatsache, dass für ein Haus bei uns heute durchschnittlich circa 400.000 bis 450.000 € ausgegeben werden und damit bei Durchschnittsnettoeinkommen von 1.600 € und einem Haushaltsdurchschnittseinkommen von 3.000 € bezahlt werden müssen. Die relative Größenordnung ist bei einem Durchschnittspreis von nur 70.000 € für ein kleines Haus in Armenia bei einem Durchschnittsnettoeinkommen von circa 400 € relativ gesehen dennoch recht ähnlich, wenn auch geringfügig teurer durch die hohen Auflagen.

Vergleich der Kosten

Sieht man sich die Bezahlung des jeweiligen Handwerks an, ergeben sich beim Vergleich doch recht interessante Verhältnisse. Während bei uns circa 55,- €/h, also 440 € pro Tag anfallen - hinzu kommen meist noch Anfahrtskosten - belaufen sich die Kosten für einen Handwerkertag in Armenia derzeit auf 23 €. Damit sind die Handwerkerkosten pro Tag, relativ zum Durchschnittsnettoeinkommen in Deutschland, bei circa 30% des Monatseinkommens einer Person, während es in Armenia nur circa 5% sind. Damit lässt bereits die Mittelschicht in Kolumbien deutlich mehr vom Handwerker erledigen, während dies in Deutschland vielen Personen zu teuer ist und daher mehr auf Do-it-yourself und Nachbarschaftshilfe gesetzt wird. Dies zeigt sich daran, dass im Do-it-yourself-Verfahren mögliche Renovierungen wie im Bereich »Farbe« sowie »Garten« und »Möbel« deutlich stärker realisiert werden, als eine Badsanierung, der Heizungsaustausch oder die Aufrüstung der Elektrik, auch wenn man hier einen hohen Bedarf sieht.

Für die obere Mittelschicht und Oberschicht ist eine angestellte Vollzeitkraft im Haushalt in Kolumbien üblich, während dies in Deutschland nur für die absolute Oberschicht finanzierbar ist. Gleichzeitig zeigt der Vergleich aber auch, dass selbständige Handwerker in Deutschland deutlich besser gestellt sind als in Lateinamerika und häufig ein sehr positives Einkommen erzielen können, während dies in Lateinamerika nicht der Fall ist

Gesellschaftliche Stellung des Handwerks

Handwerkliche Arbeit besitzt in Lateinamerika eine sehr schlechte Wertigkeit und wird extrem schlecht bezahlt, auch weil es einen großen Pool an unausgebildeten Hilfskräften gibt, welche aber alle für sich angeben, das Handwerk zu beherrschen. Der Allround-Handwerker hinterlässt jedoch eine entsprechend minderwertige Arbeitsleistung, muss kontinuierlich beaufsichtigt werden, da ein Einstehen für die eigene Arbeit nicht gegeben ist und Qualitätsmängel, sofern nicht sofort erkannt und reklamiert, natürlich zu Lasten des Auftraggebers gehen.

Allgemein gilt für Lateinamerika, dass man kein Vertrauen in Mitarbeiter hat und der Unternehmer nur über Kontrolle eine positive Leistung seiner Mitarbeiter erreichen kann. Ein Mitdenken kann vom Lieferanten sowie vom eigenen Mitarbeiter nicht erwartet werden. Dieser Zwang zur Kontrolle hemmt wiederum die gesamte Wirtschaft und verteuert die an sich kostengünstige Leistungserstellung sehr.

In Deutschland hingegen kann man sich überwiegend auf seine Mitarbeiter verlassen, vertraut diesen und erwartet eine eigenständige Leistungsausführung. Die Wertschätzung für einen guten Fachhandwerker ist hierzulande inzwischen positiv gegeben und verbessert sich immer mehr, während dies in Lateinamerika nicht der Fall ist. Dies liegt auch an der deutlich besseren Ausbildung der Handwerker und der Bedeutung von Qualität zur Einhaltung der deutschen Bauvorschriften und zur Vermeidung von Problemen (wie Schimmel) bei unseren deutlich komplexeren und aufwendigeren Häusern. Ohne einen qualifizierten Fachhandwerker kann man heute fast nicht mehr im Do-it-yourself-Verfahren bestimmte Gewerke wie die Elektrik und die Haustechnik umsetzen, auch wenn es entsprechend teuer ist.

Die dementsprechenden Handwerker im SHK- sowie Elektrikbereich haben eine sehr hohe gesellschaftliche Akzeptanz und erzielen auch sehr hohe Einkommen. Dagegen sind Handwerker, welche nicht identische Qualifikationsanforderungen besitzen wie im Bereich Malerhandwerk etwas benachteiligt, haben aber über den Bereich der gewerblichen Immobilien auch noch lukrative Einsatzfelder.

Allgemein ergibt sich durch die sehr gute Wirtschaftslage und die Demographie für die kommenden Jahre ein sehr großer Nachwuchsbedarf im Handwerk, welcher dazu führen wird, dass über den Mangel sich wahrscheinlich die gesellschaftliche Stellung sowie das Einkommen weiter positiv entwickeln werden. Dies ist in Lateinamerika bei weitem noch nicht der Fall, wo der Mensch, der mit seinen Händen arbeitet, als Mensch zweiter Klasse angesehen wird und finanziell ums Überleben kämpfen muss.

Fazit

Teilnehmer des Studiengangs "BWL-Branchenhandel Elektro" beim Semesterstart Quelle: DHBW Mosbach
Teilnehmer des Studiengangs "BWL-Branchenhandel Elektro" beim Semesterstart Quelle: DHBW Mosbach

Von daher ist das Glas für das Handwerk nach der vergleichenden Diskussion für die Studenten eher halb voll in Deutschland, ganz im Gegenteil zur Situation in Lateinamerika. Aber auch aus Sicht der Kunden haben die Studenten verstanden, dass eine gute Handwerksleistung und die entsprechende Garantie positive Seiten haben nach den Schilderungen von einigen speziellen Fällen durch die Studierenden aus Lateinamerika. So hat manch ein deutscher Student einen ganz neuen, positiven Blick auf die Situation bekommen, auch weil es in Deutschland einen kompetenten Fachhandel gibt, ganz im Gegensatz zu Lateinamerika. Dieser unterstützt, als Partner des Handwerks, dessen Erfolgsaussichten.

 

www.dhbw-mosbach.de/bhe

 

Über den Autor
Autorenbild
Prof. Dr. Alexander Neumann

Leiter Studiengang BWL - Handel insbesondere Branchenhandel Bau, Haustechnik, Elektro, Professor für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Qualitätsmanagement, Logistik und Produktionswirtschaft Qualitätsmanagement-Beauftragter der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Mosbach (DHBW)

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