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Anwenden der VDE-AR-N 4105 (AR-N-4105):2011-08 

NA-Schutz, Kuppelschalter & Co.

Auf einen Blick Es geht um die Anwendungsregel VDE-AR-N 4105 (AR-N-4105):2011-08 »Erzeugungsanlagen am Niederspannungsnetz – Technische Mindestanforderungen für Anschluss und Parallelbetrieb von Erzeugungsanlagen am Niederspannungsnetz« Für den Elektrotechniker erläutern wir hier die Begriffe NA-Schutz, Kuppelschalter, Redundanz, Kurzschlussfestigkeit, allpoliges Schalten und Lastschaltvermögen
Dieser Beitrag befasst sich insbesondere mit den Anforderungen für Photovoltaikanlagen mit einer Anlagengröße über 30 kVA, weil hier besondere Anforderungen an die Ausführung des Netz- und Anlagenschutzes sowie den zugehörigen Kuppelschalter gestellt werden (Bild 1).

Aufwand bei Anlagen > 30 kVA

Anlagen mit einer Gesamtleistung größer 30 kVA, die den Verknüpfungspunkt im Niederspannungsnetz vom Netzbetreiber zugewiesen bekommen, benötigen nach dem Abschnitt 6 der Anwendungsregel einen zentralen Netz- und Anlagenschutz (NA-Schutz) in einfehlersicherer Ausführung, der für die Überwachung der Höhe Netzspannung und Netzfrequenz sowie der Spannungsqualität zuständig ist. Dieser NA-Schutz wirkt auf einen oder mehrere Kuppelschalter, der die gesamte Anlage im Fehlerfall oder bei Wartungsarbeiten vom Netz trennt.

Die bisher geforderte jederzeit zugängliche Trennstelle kann dafür im Ermessen des Netzbetreibers entfallen. Die Entscheidung hat der Netzbetreiber in Abhängigkeit der angewendeten Arbeitsverfahren zu treffen. Bei Verzicht auf die jederzeit zugängliche Trennstelle, ist beim Arbeiten im spannungsfreien Zustand auch die fünfte Sicherheitsregel »Erden und Kurzschließen« umzusetzen. Ansonsten sind die Arbeiten unter den Grundsätzen für »Arbeiten unter Spannung« gemäß der DIN VDE 0105-100 durchzuführen.

NA-Schutz ist notwendig

Bild 1: Anschlussbeispiel für Volleinspeisung für Anlagen > 30 kVA
Bild 1: Anschlussbeispiel für Volleinspeisung für Anlagen > 30 kVA
Das für die Überwachung notwendige Messrelais muss am zentralen Zählerplatz in einem Verteilerfeld untergebracht werden. Es benötigt eine Hilfsspannung, alle drei Außenleiter und den Neutralleiter zur Überwachung der Netzparameter. Die Mess- und Hilfsleitungen müssen so ausgewählt und errichtet werden, dass die Anforderungen der Erd- und Kurzschlussfesten Verlegung nach DIN VDE 0100-520 und DIN VDE 0100-430 erfüllt werden. Dieses kann z. B. durch den Einsatz von doppelt oder verstärkt isolierten Leitungen (z. B. einadrigen Gummischlauchleitungen nach DIN VDE 0282-4) mit einer maximalen Länge von 3 m erfüllt werden. Bei der Montage ist insbesondere darauf zu achten, dass keine mechanische Beschädigung z. B. durch scharfe Kanten zu erwarten ist.

Der zentrale NA-Schutz und Kuppelschalter muss den Anforderungen der Einfehlersicherheit genügen. Das bedeutet, dass diese Betriebsmittel unter Verwendung der grundlegenden Sicherheitsprinzipien mindestens so gestaltet, gebaut, ausgewählt, zusammengestellt und kombiniert werden müssen, dass sie den zu erwartenden Betriebsbeanspruchungen (z. B. die Zuverlässigkeit hinsichtlich ihres Schaltvermögens und ihrer Schalthäufigkeit) und äußeren Einflüssen (z. B. mechanische Vibration, externe Felder, Unterbrechungen oder Störungen der Energieversorgung) standhalten können. Fehler einzelner Bauteile müssen durch andere Baugruppen erkannt werden und zur Abschaltung führen.

Das für den Netz- und Anlagenschutz benötigte Messrelais muss folgende Bedingungen erfüllen:
  • Spannungs- und Frequenzüberwachung,
  • Überwachung der Spannungsqualität,
  • Einstellwerte sind durch Code oder Plombierung geschützt,
  • einfehlersicherer Aufbau (zweikanalig, selbstüberwachend, redundanter Aufbau z. B. je zwei Prozessoren, Eingangsbeschaltungen und Ausgangsrelais),
  • Alarmspeicher mit Display zur Anzeige der fünf letzten Fehler und
  • Testtaste für den Kuppelschalter.
Der Hersteller des Relais muss die Übereinstimmung mit den Anforderungen der Anwendungsregel erklären. Diese sog. Konformitätserklärung muss den Vorgaben des Anhanges G.3 der Anwendungsregel entsprechen.
Bild 2: Zählerschrank mit Kuppelschalter
Bild 2: Zählerschrank mit Kuppelschalter
Insbesondere sind die Einstellwerte des Spannungs- und Frequenzüberwachungsrelais von Bedeutung sowie die Einhaltung der technischen Anforderungen der Schalteinrichtung und die besonderen Anforderungen hinsichtlich der passiven Inselnetzerkennung und der Einfehlersicherheit.

Der NA-Schutz sollte eine maximale Eigenzeit von 100 ms aufweisen da eine maximale Gesamtabschaltzeit des NA-Schutzes mit zugehörigem Kuppelschalter von 200 ms zulässig ist. Einige Relais bieten eine Simulationsfunktion um die gesamte Abschaltzeit zu ermitteln.

Zweiteiliger Kuppelschalter

Der Kuppelschalter besteht aus zwei in Reihen geschalteten, elektrischen Schalteinrichtungen und ist somit redundant ausgeführt. Die allpoligen Schalteinrichtungen müssen Lastschaltvermögen besitzen und sind für die jeweilige Bemessungsleistung und die auftretenden Kurzschlussströme auszulegen (Bild 2).

Ansteuerung der Schalteinrichtungen

Die Ansteuerung erfolgt für beide Schalteinrichtungen über den zentralen NA-Schutz. Ein Ausfall der ggf. benötigten Hilfsspannung muss zur unverzögerten Auslösung des Kuppelschalters führen. Die eingesetzten Schalteinrichtungen müssen eine galvanische Trennung ermöglichen. Hierfür können z. B. Leistungsrelais, Schütze, Lasttrennschalter mit Motorantrieb oder Leistungsschalter mit Motorantrieb zum Einsatz kommen. Die Auslösung des Kuppelschalters muss am Kuppelschalter visuell erkennbar sein.

Die Schalteinrichtungen müssen keine Trennfunktion nach DIN VDE 0100-460 besitzen, so dass auch Schütze bei Anlagen bis 100 kVA zum Einsatz kommen dürfen. Die Schütze müssen mit sog. Spiegelkontakten ausgerüstet sein. Das bedeutet, dass die Kontakte mechanisch so miteinander verbunden sind, dass Öffner und Schließer niemals gleichzeitig geschlossen sein können. Dabei muss sichergestellt sein, dass über die gesamte Lebensdauer des Schützes, auch in gestörtem Zustand (z. B. verschw Fachbeitrag eißen eines Kontaktes) Kontaktabstände von mindestens 0,5 mm vorhanden sind.
Auf einen Blick Bonhagen, S.: Die neue VDE-AR-N-4105 – Bessere Integration dezentraler Stromerzeugungsanlagen  »de« 21.2011 ¬ S. 32 ff
Bei der Auswahl der Schalteinrichtung sollte auf eine möglichst geringe Verlustleistung geachtet werden, da diese Betriebsmittel permanent am Netz betrieben werden. Viele namhafte Hersteller bieten hierzu Schütze mit geringer Halteleistung und motorgetriebene Leistungsschalter mit leistungsarmen Unterspannungsauslösern an. Diese führt zu einem möglichst geringen Ertragsverlust und auch zu einer geringeren Schaltschrankerwärmung, so dass der Einsatz von verlustarmen Komponenten sich über die gesamte Lebensdauer von mehr als 20 Jahren rentiert.

Redundanz reduziert Ausfälle

Die Ausfallwahrscheinlichkeit der Schutzeinrichtung wird durch die redundante Ausführung auf ein akzeptierbares Maß reduziert. Diese Doppelung der Schalteinrichtungen ist schon lange Zeit aus der selbsttätigen Schalteinrichtung nach DIN V VDE V 0126-1-1 bekannt und wurde in die Anwendungsregel übernommen (Bild 3). Die beiden Schalteinrichtungen können von unterschiedlicher Bauart und unterschiedlichen Herstellern sein.

Allpoliges Schalten

Auf einen Blick www.bfe.de
Das allpolige Schalten aktiver Leiter, schließt im TT- und TN-C-S-System den Neutralleiter mit ein. Die Besonderheit beim Schalten des Neutralleiters ist aufgrund möglicher Spannungsunsymmetrien, dass dieser Schaltkontakt vor- bzw. nacheilend ausgeführt sein muss. Eine Schutzleiter (PE) oder PEN-Leiter darf keine Schutzeinrichtung enthalten, so dass im TN-C-System nur dreipolige Schalteinrichtungen zum Einsatz kommen dürfen.

Lastschaltvermögen und Kurzschlussfestigkeit

Bild 3: Mögliche Kuppelschaltervarianten
Bild 3: Mögliche Kuppelschaltervarianten
Bei der Dimensionierung der Schalteinrichtungen ist die Summe der Scheinleistungen der Eigenerzeugungseinheiten zu berücksichtigen. Insbesondere ist hierbei der vom Netzbetreiber vorgegebene Leistungsfaktor (cos j) zu berücksichti­gen, da dieser die zu berücksichtigende Scheinleistung beeinflusst.

Die Schalteinrichtungen sind so auszuwählen, dass der unbeeinflusste Kurzschlussstrom an der Einbaustelle des Kuppelschalters zerstörungsfrei beherrscht werden kann. Der unbeeinflusste Kurzschlussstrom darf entweder durch Berechnung oder Messung ermittelt werden. Der maximal auftretende Kurzschlussstrom ergibt sich aus der Ausführung des Versorgungsnetzes in Abhängigkeit der verwendeten Ortsnetztransformatoren und der Kabel- und Leitungslängen. Der unbeeinflusste Kurzschlussstrom am Speisepunkt kann bei dem Netzbetreiber erfragt werden. Bei einem Transformator mit 630 kVA ist mit einem Kurzschlussstrom von ca. 23 kA zu rechnen. Für diesen Kurzschlussstrom muss der Kuppelschalter ausgelegt werden oder es müssen strombegrenzende Schutzeinrichtungen wie z. B. Schmelzsicherungen (gG) vorgeschaltet werden (Bild 3).

Richtige Projektierung

Bild 4: Typgeprüfter NA-Schutz mit Kuppelschalter bestehend aus zwei Schützen mit geringer Halteleistung von 2,1 W
Bild 4: Typgeprüfter NA-Schutz mit Kuppelschalter bestehend aus zwei Schützen mit geringer Halteleistung von 2,1 W
Bei der Projektierung des Netz- und Anlagenschutzes und des zugehörigen Kuppelschalters sind die Anforderungen der DIN EN 60439-1 (VDE 0660-500):2005-01 oder DIN EN 61439-1 (VDE 0660-600-1):2010-06 und DIN EN 61439-2 (VDE 0660-600-2):2010-06 für Niederspannungs-Schaltgerätekombinationen zu berücksichtigen. Insbesondere von Bedeutung sind dabei die Punkte Schutz gegen elektrischen Schlag, Überlast- und Kurzschlussschutz, Erwärmung, Umhüllung und Schutzart und Belastung durch Dauerbetrieb und Oberschwingungsströme der Umrichter.

Die Prüfung der Einhaltung der o. g. Normen und die Herstellererklärung erfordern viel Erfahrung in der Projektierung, Konstruktion und im Bau von Schaltanlagen, so dass bei Fehlen dieser Erfahrung typgeprüfte Einheiten zum Einsatz kommen sollten (Bild 4). Für den Kuppelschalter ist ein Konformitätsnachweis gemäß Abschnitt G.3 der Anwendungsregel durch den Hersteller zu liefern.
Über den Autor
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Sven Bonhagen

Sven Bonhagen ist Elektrotechnikermeister, Betriebswirt und Fachplaner für Elektro- und Informationstechnik. Heute ist er ­Inhaber des Sachverständigenbüros – elektroXpert. Das Unternehmen befasst sich mit allen Fragen rund um Elektrotechnik, Photovoltaik, Blitz- und Überspannungsschutz sowie Arbeitsschutz. Er gilt als erfahrener Experte in diesen Bereichen und ist von der Handwerkskammer Oldenburg öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger sowie vom VdS anerkannter Sachverständiger zum Prüfen elektrischer Anlagen und VdS anerkannter Sachverständiger für Photovoltaikanlagen.

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