Vorzeitige Ermüdungen Mit geeigneten Lagerkonstruktionen und Beachtung der Lagerbelastung kann man vorzeitigen Lagerausfällen begegnen
Vorzeitige Lagerausfälle treten typischerweise in sehr kurzen Abständen hintereinander auf, d. h. die Weibull-Verteilung weist im Vergleich zur klassischen Wälzlagerermüdung eine hohe Steigung auf (Bild 1).
Ein charakteristisches Merkmal vieler frühzeitiger Lagerausfälle ist das ausgedehnte, unter der Oberfläche liegende Rissnetzwerk mit einem weiß anätzenden Erscheinungsbild, das allgemein auch unter der Bezeichnung »White Etching Cracks« (WEC) bekannt ist (Bild 2).
Trotz eines besseren Verständnisses der spezifischen Aspekte des Problems besteht bei den Hauptbeteiligten auf dem Gebiet der Lagerausfallanalyse noch immer kein Konsens über die Hauptursache und die Ausfallmechanismen.
White Etching Cracks
Es handelt sich hierbei um Risse im Gefüge von Wälzlagerstahl, die mit weiß anätzenden Bereichen (»White Etching Areas«, WEA) versehen sind. »White Etching« bezieht sich auf das weiße Erscheinungsbild des veränderten Gefüges einer polierten und geätzten Stahlprobe. Die betroffenen Bereiche bestehen aus feinstem, nanokristallinem, karbidfreiem Ferrit bzw. Ferrit mit einer sehr feinen Verteilung der Karbide. Die WEA werden durch Amorphisierung aufgrund von Reibung an den Rissoberflächen beim Überrollen gebildet. Diese Bereiche erscheinen unter dem Mikroskop aufgrund ihrer geringen Ätzreaktion auf das Ätzmittel weiß. Die weiß anätzenden Bereiche um die Risse herum sind ca. 10 % bis 50 % härter als das sie umgebende, nicht betroffene Gefüge.WEC bei Wälzlagerermüdung
Im fortgeschrittenen Stadium der Wälzlagerermüdung treten sowohl dunkel anätzende Zonen (»Dark Etching Regions«, DER) als auch »White Etching«, »Low-Angle Bands« (LAB) und »High-Angle Bands« (HAB) auf (Bild 4). Obwohl HAB und LAB ebenfalls weiß anätzend sind, unterscheiden sie sich optisch von der unregelmäßigen WEC-Beschaffenheit, die bei einigen Lagerfrühausfällen zu beobachten ist. Daraus lässt sich schließen, dass die unregelmäßige WEC-Beschaffenheit nicht Teil der Wälzlagerermüdung ist. Allerdings unterscheidet sich das Gefüge dieser weiß anätzenden Bereiche in seiner kristallinen Struktur nicht wesentlich von den weiß anätzenden Bereichen, die bei vorzeitigem Ausfall zu beobachten sind.
Lagerschäden
Bei mittelgroßen bis großen Lagern treten die o. g. Effekte nicht unbedingt in derselben Form auf wie bei kleinen, hoch belasteten Lagern. Wie andere mechanische Komponenten können diese Lager typischerweise durch das Versagen ihres schwächsten Glieds ausfallen (z. B. aufgrund bereits vorhandener Gefügefehler wie Einschlüsse und Poren). Wie in ISO/TR 1281-2:2008 erläutert, nimmt die Ermüdungsgrenze ab einem mittleren Lagerdurchmesser von 100 mm ab.Des Weiteren wird – im Vergleich zu kleineren Lagern – bei größeren Lagern bei gleichem Kontaktdruck ein größeres Volumen mit möglichen Schwachstellen belastet. Die in allen Lagerstählen natürlich vorkommenden Einschlüsse sind beispielsweise solche Schwachstellen. Ein weiterer Einflussfaktor ist der Kontaktdruck selbst. Beim Beispiel in Bild 4, wo »Low-Angle Bands« und »High-Angle Bands« entstanden sind, ist der Kontaktdruck relativ hoch (> 3,2 GPa). Bei vielen mittelgroßen bis großen Lagern liegen die auftretenden Kontaktdrücke deutlich unter 3 GPa. Dies bedeutet, dass die Ermüdungsbelastung in verschiedenen Bereichen wirkt, wodurch weniger globale Schäden und mehr lokale Schäden rund um nichtmetallische Einschlüsse entstehen.
Bereits in den 1960er-Jahren wurde über WEC und dunkel anätzende Dekorationen im Zusammenhang mit Wälzlagerermüdung berichtet. Nachträgliche Untersuchungen von mittelgroßen bis großen vorzeitig ausgefallenen Lagern (entweder aus hochbeschleunigten Lebensdauertests oder aus standardisierten Lagerlebensdauerversuchen) haben das Auftreten ausgedehnter, unregelmäßiger WEC-Netzwerke als natürliches Nebenprodukt von Wälzlagerermüdung bestätigt (Bild 4 rechts).
Beschleunigte Wälzlagerermüdung – vorzeitige Ausbrüche
Der Unterschied zwischen vorzeitigen Ausbrüchen (in der Industrie häufig als WEC-Ausfälle interpretiert) und klassischer Wälzlagerermüdung kann u. U. in der Dauer liegen, die für das Auftreten der verschiedenen Symptome bis hin zu Ausbrüchen benötigt wird (Bild 5). Hinzu kommt, dass vorzeitige Ausfälle im Gegensatz zu Lebensdauertests oder zur klassischen Wälzlagerermüdung oft einhergehen mit einer Rissbildung an mehreren Stellen bzw. in mehreren Bereichen, wie aus der Lagerausfallanalyse hervorgeht.Die auf die Lager einwirkenden Belastungen können unerwartet hoch sein. Hier einige Beispiele für solche Situationen:
- Kurze, hohe Belastungen können durch unvorhergesehene Dynamik oder Temperatureffekte hervorgerufen werden, die zu hohen Vorspannungen, bedingt durch strukturelle Verformungen, Kantenspannungen usw. führen.
- Strukturbelastungen im Material des Lagers, bedingt z. B. durch Formabweichungen, Schiefstellungen oder sonstige Faktoren, erhöhen die Spannung im Material.
- Erhöhte Belastungen im Bereich der Laufbahn können auch durch ungünstige tribologische Bedingungen, z. B. schlechte Schmierbedingungen und/oder starken Schlupf, in Kombination mit bestimmten Schmierstoffen verursacht werden.
- Kontaminierung des Schmierstoffs mit Wasser
- Korrosion und
- elektrische Streuströme.
Sobald auch nur ansatzweise Risse entstehen (manchmal einhergehend mit dem Auftreten von lokalen, dunkel anätzenden Zonen (DER) führt ein Aneinanderreiben der Rissoberflächen zum Materialtransfer von einer Seite des Risses zur anderen. Dadurch entsteht eine Rissverzweigung, auf deren Flanken sich weiß anätzende Bereiche anhäufen.
Die Bildung von weiß anätzenden Bereichen (WEA) ist auch vom Rissverlauf unter der Oberfläche abhängig, der sich auf die einwirkenden inneren Kräfte und Verformungen zurückführen lässt. Daher sind WEA häufiger in horizontal (parallel zur Laufbahn) verlaufenden Rissen zu finden. Vertikal verlaufende Teile des Risses weisen dagegen meist weniger WEA auf (Bild 7). Des Weiteren ist die Bildung von WEA abhängig vom Zwischenraum zwischen den Rissflächen, der Anzahl der Belastungszyklen sowie dem inneren Spannungszustand im Werkstoff.
WEC aufgrund höherer Belastung
Bei der Prüfung wird ein Zylinderrollenlager mit seinem Innenring (Bohrungsdurchmesser 220 mm) mit normaler Passung auf einer Hülse mit fünf Wellen montiert, die wiederum auf der Prüfstandswelle mit Übermaß befestigt ist. Eine solche, durch Hartdrehen hergestellte wellenförmige Hülse, wird in der Nähe der Laufbahnoberfläche des Innenrings fünf Zonen mit einer Zugspannung von etwa 205 MPa induzieren. Beim Prüflager handelt es sich um ein modifiziertes zweireihiges Zylinderrollenlager, das im mittleren Teil des Innenrings mit einer Reihe von acht (statt zwei Reihen mit 24) Rollen bestückt ist, damit der Prüfstand die erforderliche Kontaktspannung aufbauen kann (Bild 8). Der Lagerwerkstoff ist Wälzlagerstahl 100Cr6 (SAE 52100). Das Lagergefüge besteht aus angelassenem Martensit mit Rest-Austenit bis zu 7 % (Volumen) und einer Härte von 62 HRC. Die Lager wurden bei einem maximalen Hertz‘schen Kontaktdruck von 1,8 GPa und einem Kappa-Wert von etwa 2 bis zum Ausfall getestet.
Nach 1150 h (dies entspricht 6,35 x 108 Belastungszyklen) ist ein Lager, welches auf der Hülse mit fünf Wellen montiert war, mit einem sichtbaren Axialriss auf dem Innenring ausgefallen. Das zweite Lager ist nach 1570 h (dies entspricht 8,67 x 108 Belastungszyklen) mit zwei sichtbaren Axialrissen ausgefallen. Die Lage der Axialrisse im Innenring korreliert mit den Welligkeitsmaxima der Hülse. Das heißt, die Risse entstanden aufgrund lokaler Zugspannungen verursacht durch die welligkeitsbedingte strukturelle Verformung des Innenrings.
Dabei ist anzumerken, dass vier der gleichen Lager zuvor unter den gleichen Bedingungen mit einer Standard-Wellenpassung (ohne künstlich eingeführte Welligkeit) geprüft wurden. Keines dieser Lager versagte bis zur Einstellung der Prüfung nach etwa 2200 h (1,21 x 109 Belastungszyklen), und bei der Nachanalyse wurden weder Oberflächenrisse noch weiß anätzende Risse unter der Oberfläche festgestellt.
Die Nachanalyse umfasst zerstörungsfreie Prüfungen (NDT) mittels Ultraschall (UST) und Farbeindringmittel, die Messung der Ringrundheit, die fraktographische Analyse und die metallographische Untersuchung unter dem Mikroskop.
Die in Bild 10 dargestellten Ergebnisse beziehen sich auf einen Test mit Pendelrollenlagern 23024, die kurzzeitig hohen Belastungen ausgesetzt wurden.
Bei kurzzeitig hoher Belastung wird das Lager bei guten Schmierbedingungen (Kappa-Wert von etwa 3,5) ca. 15 min lang einem Kontaktdruck über 3 GPa ausgesetzt.
Das Lager, das zuvor einer kurzzeitig hohen Belastung ausgesetzt war, wird anschließend in einen Radialprüfstand eingebaut. Hier werden ein moderater Kontaktdruck von etwa 1,7 GPa und ein Kappa-Wert von etwa 2 aufgebracht. Unter diesen Bedingungen liefen die Lager entweder ca. 3,3 x107 Lastzyklen (am Außenring) oder sind vorher ausgefallen. Bild 10 zeigt einen Umfangsschnitt und die Nitalätzung eines Außenrings. Das betreffende Lager ist nach 1,9 x 107 Zyklen aufgrund eines Ausbruchs im belasteten Bereich des Außenrings ausgefallen.
Ein Beispiel für unter der Oberfläche verlaufende WEC in einem Lager unter Wasserstoffeinfluss wurde bereits in Bild 7 gezeigt.
Einfluss von Mischreibung und Schmierstoffen
Es wurden Lagertests mit Stahl/Stahl-Axial-Zylinderrollenlagern 81212 durchgeführt. Der Lagerwerkstoff ist ein Standardlagerstahl nach SAE 52100, martensitisch gehärtet, mit einem Rest-Austenitgehalt von unter 3 % und einer Härte von rund 60 HRC. Diese Lager wurden bei mittleren Belastungen (max. Kontaktdruck etwa 1,9 GPa) und unter unzureichenden Schmierbedingungen (Kappa-Wert etwa 0,3) geprüft.
Es wurden verschiedene Schmieröle und Schmierölmischungen getestet. Ein typisches Ausfallerscheinungsbild ist in Bild 11 dargestellt.
Auch wenn dies hier nicht im Detail dargestellt ist, sind bei allen durchgeführten Tests meistens die Rollen und selten die Scheiben ausgefallen. Die Tests wurden entweder bis zum Ausfall (Ausbrüche) durchgeführt oder eingestellt. Bei Lagern, die durch Ausbrüche ausfielen und bei denen WEC festgestellt wurden, wird davon ausgegangen, dass sich bereits vor den Ausbrüchen weiß anätzende dekorierte Risse unter der Oberfläche gebildet hatten. Dies ist darauf zurückzuführen, dass manchmal auch bei Bauteilen ohne Ausbrüche Risse unter der Oberfläche festgestellt werden.
Diskussion
Die obigen Erkenntnisse erklären, warum WEC in allen Industriezweigen, allen Lagertypen und bei allen Wärmebehandlungsarten (durchgehärtete sowie einsatzgehärtete Werkstoffe) vorkommen, da WEC am Ende der Versagenskette auftreten und eine natürliche Folge von Rissnetzwerken in vorzeitig ausgefallenen Lagern sind.Der Schlüssel zur Bestimmung der Hauptursachen vorzeitiger Lagerausfälle liegt nicht nur in der Untersuchung von WEC, sondern vielmehr darin, die jeweiligen Schwächungseffekte (im Zusammenhang mit höherer Belastung oder geringerer Materialfestigkeit), die zu einer beschleunigten Ermüdung führen, festzustellen.
Im Allgemeinen ist der Ausfall eines jeden mechanischen Bauteils auf den Bruch des schwächsten Glieds innerhalb einer Kette zurückzuführen. Dies ist dann der Fall, wenn die lokale Belastung die lokale Festigkeit übersteigt. Ein vorzeitiger Ausfall ist die Folge einer deutlichen Schwächung des schwächsten Glieds. Die Zuverlässigkeit von Wälzlagern, die in den verschiedensten Anwendungen eingesetzt werden, folgt dem Prinzip des schwächsten Glieds. Schwachstellen gibt es immer im Werkstoff oder auf der Wälzkontaktfläche. Ein Lager versagt, wenn das schwächste Glied der Kette gebrochen ist. Bei schlechter Schmierung oder rauer Oberfläche (z. B. nach Partikeleindrückungen) könnte das schwächste Glied an der Oberfläche liegen, und das Lager fällt aufgrund von Oberflächenschäden wie Oberflächenzerrüttung oder Verschleiß aus.
Bei guten Schmierbedingungen könnte das schwächste Glied unter der Oberfläche liegen, da Materialfehler wie Einschlüsse und hohe Schubspannungen durch Hertz’sche Pressung vorliegen und der Lagerausfall auf eine Rissbildung und -ausbreitung aufgrund bereits vorhandener Materialfehler zurückzuführen ist. Bei Wälzlagern kann die Festigkeit des schwächsten Glieds auf eine Belastungs- oder Spannungsgrenze bezogen werden, die Ermüdungsgrenze genannt wird. Ein Lager fällt aus, wenn die Ermüdungsgrenze überschritten wird. Ein vorzeitiger Lagerausfall tritt ein, wenn die Ermüdungsgrenze deutlich herabgesetzt ist, d. h. wenn die Festigkeit des schwächsten Glieds erheblich reduziert ist.
Es ist die Schwächung, die infolge höherer Belastung oder geringerer Materialfestigkeit zu frühzeitiger Rissbildung und beschleunigter Rissausbreitung und damit zu vorzeitigem Lagerausfall führt, nicht aber die WEC. Wenn keine Schwächung vorliegt, kann ein Lager infolge »normaler« Wälzlagerermüdung durch einen einzelnen Ausbruch versagen, wobei nur wenige oder gar keine WEC vorhanden sind, da sich die Risse am Ende der Lebensdauer des Werkstoffs schnell ausbreiten. Somit bleibt keine Zeit für die Materialumwandlung innerhalb des Risssystems. Bei zunehmender Schwächung kann das Lager aufgrund ausgedehnter WEC vorzeitig ausfallen, da der Werkstoff in initiierten Risssystemen Zeit hat, sich lokal von DEA in WEA umzuwandeln. Bei zunehmendem Schweregrad können Axialrisse mit reduzierter WEA-Dekoration oder sogar Brüche ohne WEA-Dekoration auftreten, da sich Risse zu schnell ausbreiten.