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Praxisfrage

Anlagenüberprüfung in einem Gewerbebetrieb

Ein mittelständischer, metallverarbeitender Betrieb hat sich an uns gewendet, da er ein Angebot für die komplette Überprüfung der elektrischen Anlage von uns wünscht. Nach einer Besichtigung des Geländes und gemeinsamer Gespräche sind bei uns betriebsintern folgende Fragen entstanden und bitten um Ihre kompetente Hilfestellung. Zum besseren Verständnis haben wir eine Skizze für die elektrische Anlage beigefügt. Da es sich um eine bestehende elektrische Anlage handelt, würden wir die Überprüfung nach VDE 0105-100 durchführen. Laut Aussage der Betriebsleitung besteht die elektrische Anlage teilweise noch aus den späten 50er Jahren. Die neuesten Anlagenteile sind 2014 entstanden. Folgende Fragen sind bei uns aufgekommen:

  1. In der Schleiferei wurde immenser Metallstaub in Sicherungskästen, in Lampenfassungen etc. entdeckt. Unserer Meinung nach sollte mindestens die IP Schutzart 54 vorhanden sein. Vorgefunden wurde teilweise nur die Schutzart IP 44 oder kleiner. Wie sehen Sie den Sachverhalt? Laut Kunde handelt es sich nicht um eine explosionsgefährdete Räumlichkeit.
  2. In den ältesten Anlagenteilen wurden NYM-Leitungen mittels Draht oder Klebeband an Drahtseile oder direkt an die Stromschiene gebunden und von dort aus an Lichtbänder oder an verschiedene Verbraucher verlegt. Wir sind der Meinung dass dies nicht richtig ist. Eine NYM-Leitung ist kein 11 Luftkabel ll sondern eine Leitung für feste Verlegung. Eine Nachrüstung von Kabelrinne oder Gittern halten wir für notwendig.
  3. Viele CEE-Steckdosen (16 A) sind 4-polig. Absicherung direkt am Stromschienensystem ohne RCD. Ist dies noch zulässig? Der Kunde hat nie umgerüstet und behilft sich mit »Adaptern« von 4-polig auf 5-polig.
  4. Welche Vorgehensweise können Sie uns für die Isolationsmessung empfehlen? Wäre eine Differenzstrommessung eine sinnvolle Alternative und welche Grenzwerte sind dort einzuhalten? Wir sehen bei der Isolationsmessung folgende Schwierigkeiten:
    • Über direkt am Stromschienensystem montierte Klemmkästen (incI. Abgangssicherung) werden alle Verbraucher (Maschinen, Beleuchtung, Steckdosenstromkreise) versorgt. Da es sich, wie aus der Skizze ersichtlich, um ein TN-C-System handelt das tlw. In den Abgangskästen in ein TN-S-System umgewandelt wird und viele Verbraucher direkt angeschlossen sind (siehe Beleuchtung) ist uns unklar wie am sinnvollsten die Messung durchgeführt werden kann.
    • Sind an der Stromschiene alle Abgangskästen bei der Messung abzumontieren und die Kästen jeweils separat zu messen oder kann an der Einspeisung der Stromschiene eine Messung durchgeführt werden?
    • Kann zur Anlagenbeurteilung auch auf eine Stichprobenartige Messung zurückgegriffen werden?
    • Die Elektroinstallation im Verwaltungsgebäude besteht teilweise noch aus den 1960 Jahren und ist komplett als TN-C-System aufgebaut. Um eine aussagekräftige Isolationsmessung durchführen zu können müssten die Leuchtmittel abgeklemmt werden. Aus wirtschaftlichen Gründen kann dies nicht durchgeführt werden. Welche Vorgehensweise können Sie uns bei der Isolationsmessung empfehlen? Wäre eine Differenzstrommessung eine Alternative?
    • Wäre es sinnvoll eine RCM zur Anlagenüberwachung einzubauen? Welche Grenzwerte sind sinnvoll? Teilweise wurden Maschinen entdeckt, die It. Hersteller erhöhte Ableitströme erzeugen können.
  5. Die Messung der Schleifenimpedanz an Steckdosenstromkreise stellt kein Problem dar. Wie verhält es sich bei den direkt an das Schienensystem angeschlossenen Maschinen? Ist die Schleifenimpedanz am Einspeisepunkt der Maschine zu messen (hier häufig am Hauptschalter) oder am Klemmkasten des Schienensystems, da die Zuleitung zur Maschine gehört.
  6. Die vorgefundenen Maschinen fallen unter die VDE0113. Wenn erhöhte Ableitströme zu erwarten sind (größer 10 mAl und der Schutzleiter kleiner 10 mm² in der Zuleitung ist, muss ein zusätzlicher Potentialausgleich parallel dazu verlegt werden. Wir verwenden in solchen Fällen 16 mm². Wo darf/muss der zusätzliche Potenzialausgleich angeschlossen werden? Direkt am Klemmpunkt PEN im Klemmkasten an der Stromschiene oder muss ab der HVT ein separates Schutzleitersystem parallel zur Stromschiene mit selbigen Querschnitt wie bei der Schienenzuleitung aufgebaut werden?
  7. Nach Durchsicht verschiedener Vorschriften (DGUV, TRBS) herrscht etwas Unsicherheit, da folgende Vermutung entsteht: Da es sich um einen Gewerbebetrieb handelt, ist die dortige Geschäftsführung verpflichtet die elektrische Anlage auf dem Stand der Technik zu erhalten. Dies würde bedeuten, dass die Anlage teilweise nicht mehr betrieben werden darf oder durch Nachrüstung »aktualisiert« werden kann. Liegen wir mit unserer Vermutung richtig?
  8. Ist bei der Überprüfung der elektrischen Anlage nach VDE0105-100 eine »lichttechnische Überprüfung« notwendig oder sinnvoll? Wir verstehen darunter die Überprüfung der geforderten LUX-Werte laut DIN 12484 und den aktuellen Arbeitsstättenrichtlinien. Oder ist dies Aufgabe des Anlagenbetreibers?
  9. In wie weit ist eine Thermographische Untersuchung der alten Elektroverteilung sinnvoll? Ist eine Untersuchung auf Oberwellen zu empfehlen? Wir sehen das Risiko, dass aufgrund der Mischung von alten und neuen Maschinen und des Alters der Anlage kritische Situationen im Betriebsnetz entstehen können.
  10. Stellt die Überprüfung einer elektrischen Anlage nach VDE0105-100 die gleiche Aussagekraft dar wie eine Überprüfung nach VDS-Richtlinie SK3602? Der Kunde wurde von seiner Versicherung beauftragt eine Überprüfung nach der genannten VDS-Richtlinie durchzuführen.
S. M., Bayern

Expertenantwort vom 11.08.2017
Autorenbild
Werner Hörmann

Gelernter Starkstrommonteur und dann viele Jahre als Projektant für Schaltan­lagen und Steuerungen bei Siemens tätig. Aktive Normung in verschiedenen Komitees und Unterkomitees der DKE. Seine Spezialgebiete sind u. a. die Er­richtungsbestimmungen nach DIN VDE 0100 (VDE 0100) – insbesondere Schutz gegen elektrischen Schlag –, die Niederspannungs-Schaltanlagen nach DIN EN 60439 (VDE 0660-500 bis -514) oder das Ausrüsten von elektrischen Maschinen nach DIN EN 60204-1 (VDE 0113-1). Werner Hörmann ist Verfasser zahlreicher Beiträge in der Fachzeitschrift »de« sowie Autor diverser Fachbücher.

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