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Praxisfrage

Wasseraustritt aus neu verlegtem Mittelspannungskabel

Nach einer Neuverlegung eines Kabels des Typs NA2XS(F)2Y 1x185/25 12/20KV im Erdreich sieht man Wasser aus besagtem Kabel tropfen (Bild).

  • Kann man etwas dagegen tun?
  • Sollte ich die komplette Kabelstrecke auswechseln?

P. M., Baden-Württemberg

Expertenantwort vom 16.07.2024
Autorenbild
Dipl.-Ing. (FH) Holger Niedermaier

Dozent an der staatlichen Technikerschule für Mechatroniktechnik in Herzogenaurach für allgemeine Elektrotechnik, elektrische Maschinen und Antriebe sowie Mechatronische Systeme. Zertifizierte Blitzschutzkraft, VdS-Sachverständiger zum Prüfen elektrischer Anlagen. Mittlerweile ist er mit eigenem Sachverständigen- und Ingenieurbüro in der Metropolregion Nürnberg-Erlangen selbständig.

DIN VDE 0276-620.5C, IEC 60502

Eine eher ungewöhnliche und zugleich interessante Fragestellung werfen Sie hier auf. Ich möchte meiner Antwort gerne voranstellen, dass eine vollständige Beurteilung der Sachlage aus der Ferne in einem solchen Fall nicht möglich ist. Ich werde daher die von Ihnen gestellten Fragen nicht auf den Punkt beantworten können. Vielleicht kann ich Sie aber in Ihrer Entscheidungsfindung durch einige technische Ausführungen und Überlegungen unterstützen, was ich im Folgenden gerne versuchen möchte.

Aufbau und Eigenschaften von NA2XS(F)2Y-Kabeln

Bild: Foto zur Anfrage
Bild: Foto zur Anfrage

Wie uns die Kennzeichnung des Kabels bereits verrät, handelt es sich um ein nach VDE genormtes Kabel mit einem Aluminiumleiter, einer  VPE-Leiterisolation (VPEvernetztes Polyethylen), einem quell- und leitfähigem Band, einem Kupferschirm, einer Füllmischung und einem PE-Außenmantel (PE – Polyethylen).

Diese Kabel sind je nach Ausführung für Spannungen bis 18 / 30 (36) kV geeignet. Nach Produktnorm ist das Kabel für die Verlegung in Luft, im Freien, in Innenräumen und in Wasser vorgesehen. Bei der Verlegung in Wasser ist jedoch darauf zu achten, dass das Kabel nur über einen beschränkten Diffussionswiderstand verfügt, weshalb der vorherrschende Wasserdruck zu beachten ist. Generell würde ich bei der Verlegung in Wasser daher immer Rücksprache mit dem Kabelhersteller halten und die genau Verlegesituation klären.

Eine Besonderheit des …(F)…-Kabels im Vergleich zum »einfachen« NA2XS2Y-Kabel besteht in einem quellfähigen Band über der Aderisolation und der äußeren Leitschicht. Dieses sorgt beim Eindringen von Wasser aufgrund einer Fehlerstelle im Kabelmantel dafür, dass sich das eindringende Wasser nicht in Längsrichtung durch das Kabel bewegen kann. Daher bleibt die Wirkung auf die Fehlerstelle begrenzt.

Wasser dringt in den Kabelmantel ein?

Zunächst passiert erst einmal gar nichts, wenn Wasser in den Kabelmantel eindringt. Das Quellband verhindert eine Ausbreitung des Wassers. Die Feldsteuerung über die Leitschicht und die Isolation der Außen­leiterspannung gegen den Schirm bleibt zunächst erhalten. Mit der Zeit kommt es zu einem zunächst mikroskopischen Eindringen von Wassermolekülen in die Isolationsschicht. Diese lagern sich in kleinen Hohlräumen im Material an, ggf. gemeinsam mit anderen Stoffen. Das elektrische Feld an dieser Stelle verändert sich, es wird inhomogen. Dadurch entstehen räumliche Feldstärkeüberhöhungen, welche einzelne Ladungs­träger aus dem Isolationsmaterial losreißen können. An diesen Schadstellen können sich wiederum Wassermoleküle und Fremdstoffe anlagern, was sowohl zu einer Veränderung der Leitfähigkeit als auch zur weiteren Verzerrung des elektrischen Feldes mit lokalen Überhöhungen führt. Dies kann dann wiederum Ladungsträger aus dem Isolator lösen – das schreitet dann immer so weiter fort.

Final kommt es zu einer Entladung bzw. einem Durchschlag des Isolators, entweder aufgrund sich ausbildender leitfähiger Ladungswege und/oder durch im Isolator vorhandener, durch das elektrische Feld gelöster und beschleunigter Ladungsträger. Jetzt liegt ein Kabelfehler vor.

Durch die Verwendung von Quellschichten oder quellfähigen Bändern im NA2XS(F)2Y-Kabel wird das Eindringen von Wasser in radialer Richtung beim Vorliegen eines Mantelfehlers zwar nicht verhindert, wohl aber die Ausbreitung des Wassers längs des Kabels.

Für mich lautet demnach die erste Frage nicht, ob man etwas gegen das von Ihnen festgestellte Wasser tun kann, sondern wie das Wasser in das Kabel kommt und wie es sich überhaupt in Längsrichtung ausbreiten konnte.

Betrachtung der Möglichkeiten

Wahrscheinlich wurden die offenen Schnittflächen des Kabels während und nach der Verlegung nicht durch Endkappen geschützt. Wenn das Kabel mit dieser Schnittfläche längere Zeit mit Wasser in Kontakt war, konnte Wasser längs des Leiters und der Isolationsschicht in das Kabel eindringen.

Das Problem ist, Sie können keine Aussage darüber treffen, wie weit das Wasser eingedrungen ist. Bei der Überprüfung des Kabels auf äußere Schäden können Sie erst einmal keinen Schaden feststellen. Ist das Kabel jedoch tatsächlich »durchnässt«, zeigt sich das ggf. durch einen höheren Verlustfaktor bzw. einen schlechteren Isolationswiderstand. Aus meiner Sicht ist es aber nicht möglich, diese beiden Werte als Prüfwerte so zu interpretieren, dass Sie eine Aussage über »Wasser im Kabel« ableiten können.

Erst mit zunehmender Alterung des Kabels wäre hier ggf. eine starke Veränderung feststellbar. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dass auf der Stecke ein mechanischer Kabelschaden vorliegt. Wie bereits beschrieben, sorgt jedoch das quellfähige Band im Kabelaufbau dafür, dass sich das ggf. eindringende Wasser, nicht in Längsrichtung ausbreiten kann.

Sie können daher eigentlich kein Wasser feststellen, es sei denn, die Schadstelle ist so massiv, dass auch Quellband und Aderisolation beschädigt wurden. Dann wäre eine Bewegung des Wassers entlang der Isolationsschicht und des Leiters denkbar. Einen solchen Fehler können Sie mit den gängigen Mantelfehler-Prüfverfahren schnell und sicher orten und in Stand setzen. Eine Aussage über »Wasser im Kabel« erhalten Sie aber auch hier nicht.

Muss das Kabel getauscht werden?

Ich komme hier auf den Anfang meiner Ausführungen zurück. Eine Aussage bei der Eingangsdatenlage und aus der Ferne ist nicht möglich. Wir können aber festhalten: Wasser sollte bei einem Kabel dieses Typs nur örtlich begrenzt an einer Fehlerstelle eindringen können.

Ist das Kabel wirklich über die Länge durchnässt, stellt sich die Frage nach der Ursache hierfür – siehe obige Überlegungen. Diese Frage ist zu klären. Bei VPE-isolierten Kabeln ist mir keine Prüfmethode bekannt, mit der Sie eine sichere Aussage über das Wasser und seine Wirkung im neuen Kabel erhalten. Messwerte wie Verlustfaktor, Teilentladungen oder Isolationswiderstand sind bei einem neuen Kabel, auch bei in Längsrichtung eingedrungenem Wasser, sehr schwer in diese Richtung zu interpretieren.

Durch Wasser im Bereich der Leit- und Isolationsschichten werden die Eigenschaften des Kabels verändert. Ich würde davon ausgehen, dass ein so betriebenes Kabel relativ schnell altern und Ausfälle zeigen wird.

Fazit

Ich bin kein ausgewiesener Kabelexperte und habe Ihnen meine Gedanken bezüglich des geschilderten Problemfalles in der vorstehenden Antwort dargelegt. Ich würde Ihnen empfehlen, das Kabel messtechnisch zu überprüfen und durch diese Überprüfung eine mechanische Beschädigung des Kabels auszuschließen bzw. diese ggf. orten und begutachten.

Im Anschluss würde ich zusätzlich die Abstimmung mit dem Kabelhersteller suchen und mir seine Meinung und Interpretation der Messergebnisse darstellen und erläutern lassen. Final würde ich mich im Zweifel für einen Austausch des Kabels entscheiden, da ich von einem wesentlich verschlechterten Alterungsverhalten ausgehen würde.

Holger Niedermaier

PP24075


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