DIN VDE 0100-712, IEC 62109-2, VdS 3145, DIN VDE 0100-410, VDE 0126-1-1
Keine explizite Forderung nach RCD
Die nachfolgenden Betrachtungen beziehen sich auf ein PV-System zur Einspeisung in eine elektrische Anlage, welche an ein öffentliches Stromverteilungsnetz angeschlossen ist. PV-Wechselrichter werden hierbei üblicherweise elektrisch fest angeschlossen. Eine Fehlerstrom-Schutzeinrichtung (RCD) muss für den Schutz des PV-Wechselstrom-Versorgungsstromkreises nicht zwangsläufig vorgesehen werden. In der aktuellen Ausgabe der DIN VDE 0100-712 »Errichten von Niederspannungsanlagen – Photovoltaik-Stromversorgungssysteme« sind im Abschnitt 712.530 sowie 712.531 und 712.532 Angaben zur Verwendung von RCDs auf der Wechselspannungsseite gegeben.
Können für den Fehlerschutz durch automatische Abschaltung der Stromversorgung die Abschaltbedingungen mit Überstrom-Schutzeinrichtungen nicht eingehalten werden (z. B. in einem TT-System), müssen RCDs verwendet werden – siehe auch DIN VDE 0100-410 »Errichten von Niederspannungsanlagen – Schutz gegen elektrischen Schlag«, Abschnitt 411. Zudem kann es erforderlich sein, dass eine RCD aus Brandschutzgründen verwendet werden muss, beispielsweise wenn es sich um eine feuergefährdete Betriebsstätte nach DIN VDE 0100-420 (Errichten von Niederspannungsanlagen – Schutz gegen thermische Auswirkungen) Abschnitt 422.3 oder nach DIN VDE 0100-705 (Errichten von Niederspannungsanlagen – Elektrische Anlagen von landwirtschaftlichen und gartenbaulichen Betriebsstätten) um eine landwirtschaftliche Betriebsstätte handelt.
Bestätigung von Wechselrichterherstellern
Im Abschnitt 712.531.3.101 der DIN VDE 0100-712 ist nun gefordert, dass eine solche RCD vom Typ B sein muss. Angemerkt sei, dass in Deutschland nach DIN VDE 0100-530 »Errichten von Niederspannungsanlagen – Schalt- und Steuergeräte«, Anmerkung 2 im Anhang A, alternativ auch RCDs des Typs B+ verwendet werden dürfen. Der zuvor in der DIN VDE 0100-712 genannte Abschnitt sieht jedoch Ausnahmen vor.
Verfügt der Wechselrichter mindestens über eine einfache Trennung zwischen der Wechsel- und Gleichspannungsseite – z. B. mittels integriertem Transformator oder wenn die elektrische Anlage mindestens eine einfache Trennung zwischen dem Wechselrichter und der RCD durch einen Transformator mit getrennten Wicklungen aufweist –, so ist eine RCD des Typs A oder F ausreichend. Ebenso ist eine RCD des Typs A oder Typ F ausreichend, wenn der Hersteller des PV-Wechselrichters bestätigt, dass eine RCD des Typs B oder B+ nicht erforderlich ist. Eine solche Bestätigung von Wechselrichterherstellern, dass bei Verwendung ihrer transformatorlosen Wechselrichter im Fehlerfall keine glatten Gleichfehlerströme auf der Wechselspannungsseite der elektrischen Anlage auftreten können und dadurch aus Kostengründen eine RCD vom Typ A oder Typ F für den Fehlerschutz oder Brandschutz ausreichend sei, darf allerdings kritisch hinterfragt werden.
RCMU auf DC-Seite zur Schutzpegelerhöhung
Eine in einem Wechselrichter zur Überwachung der Gleichspannungsseite möglicherweise integrierte Fehlerstrom-Überwachungseinheit nach IEC 62109-2 »Safety of power converters for use in photovoltaic power systems«, Abschnitt 4.8.3.5 (auch bekannt als Residual Current Monitoring Unit – RCMU nach VDE 0126-1-1), stellt keinen Ersatz für eine RCD dar, die auf der Wechselspannungsseite für den Fehlerschutz, z. B. im TT-System, oder für den Brandschutz gefordert ist. Hierzu verweise ich auch auf die Publikation der Deutschen Versicherer (GDV e. V.) zur Schadenverhütung VdS 3145 »Photovoltaikanlagen«, Abschnitt 4.4.5.3.
Eine RCMU funktioniert spannungsabhängig und dient lediglich zur Schutzpegelerhöhung auf der Gleichspannungsseite – z. B. im Bereich der PV-Module und der Gleichspannungsleitungen –, wenn die nach DIN VDE 0100-712 Abschnitt 712.410.102 auf der Gleichspannungsseite geforderte Schutzmaßnahme doppelte oder verstärkte Isolierung versagt. Eine der RCMU zugeordnete Schalteinrichtung muss nicht zwangsläufig eine Trenneigenschaft aufweisen. In Deutschland müssen RCDs jedoch sowohl spannungsunabhängig funktionieren als auch eine Trenneigenschaft aufweisen. RCDs des Typs B oder B+ verfügen über eine spannungsabhängige Erfassung für glatte Gleichfehlerströme und über eine spannungsunabhängige Erfassung für Fehlerströme des Typs A und Wechselfehlerströme über einen weiten Frequenzbereich. Sie gelten als spannungsunabhängig.
Zudem müssen Fehlerströme, die nicht auf der Gleichspannungsseite entstehen, von einer RCMU nicht zwangsläufig erfasst werden. Ursache kann beispielsweise ein Isolationsfehler im Gleichrichter oder Hochsetzsteller bzw. in einer PFC-Stufe sein. Von einer RCMU muss der Effektivwert des Gesamtfehlerstromes erfasst werden. Dieser Fehlerstrom kann aus Gleich- und aus Wechselfehlerstromanteilen bestehen. Für plötzlich auftretende Fehlerströme sind die Prüfwerte 30 mA, 60 mA und 150 mA nebst maximaler Abschaltzeiten in der Tabelle 31 von IEC 62109-2 festgelegt. Bei einem sich langsam ändernden Differenzstrom (Fehlerstrom und / oder kapazitiver Ableitstrom) muss eine Abschaltung oberhalb eines Grenzwertes von 300mA erfolgen. Abschaltbedingungen und Grenzwerte für glatte Gleichfehlerströme beispielsweise von 6 mA sind hier nicht aufgeführt.
Automatische Abschaltung der Stromversorgung
Im Abschnitt 712.531 der DIN VDE 0100-712 sind Anforderungen zu Einrichtungen für den Fehlerschutz durch automatische Abschaltung der Stromversorgung aufgeführt. Wenn eine RCD für den Fehlerschutz vorgesehen werden muss, so müssen die Anforderungen von Abschnitt 712.531.3.101 erfüllt werden. Bestätigt ein PV-Wechselrichterhersteller nun, dass durch die Integration einer Fehlerstrom-Überwachungseinheit oder RCMU, welche auch glatte Gleichfehlerströme erfassen und abschalten kann, eine RCD des Typs A oder F ausreichend sei, dann wird streng genommen diese Fehlerstrom-Überwachungseinheit oder RCMU zwangsläufig ein Bestandteil einer Vorkehrung zum Fehlerschutz nach DIN VDE 0100-410 Abschnitt 411.3 als Teil der Schutzmaßnahme »Automatische Abschaltung der Stromversorgung« gemäß Abschnitt 411.
In dieser Situation würde im Fehlerfall eine Aufteilung bei der Abschaltung in Abhängigkeit der Art des Fehlerstromes (Gleichfehlerstrom / Wechselfehlerstrom) erfolgen. Hierzu geeignete Schutzeinrichtungen müssen nach DIN VDE 0100-410 Abschnitt 411.3.2.1 zum Trennen geeignet sein. Eine Eignung zum Trennen ist für eine mit einer Fehlerstrom-Überwachungseinheit oder RCMU verbundenen Schalteinrichtung, wie schon weiter oben erwähnt, nicht explizit gefordert. Zudem handelt es sich hierbei nicht um Schutzeinrichtungen im Sinne der DIN VDE 0100-530. Somit dürften diese nicht zur Realisierung der Fehlerschutzvorkehrung zur Schutzmaßnahme automatische Abschaltung der Stromversorgung nach DIN VDE 0100-410 Abschnitt 411 verwendet werden.
Ausreichend großer Kurzschlussstrom?
Wenn in einer elektrischen Anlage die Abschaltbedingungen mit Überstrom-Schutzeinrichtungen eingehalten werden und es sich um keine feuergefährdete Betriebsstätte handelt, dann ist, wie schon weiter oben beschrieben, zur Realisierung des Fehlerschutzes auf der Wechselspannungsseite eine RCD nicht zwangsläufig erforderlich. Folgendes muss jedoch beachtet werden: Um nach DIN VDE 0100-410 die Abschaltbedingungen mit Überstrom-Schutzeinrichtungen im Erdkurzschlussfall einzuhalten, muss der Kurzschlussstrom ausreichend hoch sein. Daher kann ggf. auch in einem TN-System der Einsatz einer RCD erforderlich sein.
Sonderfälle beachten
In bestimmten elektrischen Anlagen ist unabhängig vom Versorgungssystem eine RCD erforderlich (z. B. in landwirtschaftlichen Betriebsstätten gemäß DIN VDE 0100-705, Abschnitt 705.411.1). Eine Risikobewertung insbesondere in Bezug auf den Brandschutz sollte erfolgen (siehe VDE 0100-530, Abschnitt 532.1). Der technische Leitfaden VdS 3145 »Photovoltaikanlagen« empfiehlt aus Brandschutzgründen gemäß Abschnitt 4.4.5.3 vorsorglich den Einsatz einer RCD. Einige regionale Netzbetreiber sehen den Einsatz einer RCD für den Fehlerschutz unabhängig vom Versorgungssystem vor.
Die Sicherheit elektrischer Anlagen insbesondere für elektrotechnische Laien hat höchste Priorität und darf nicht durch wirtschaftliche Aspekte herabgesetzt werden. Umso unverständlicher ist es, dass für Wartungsarbeiten durch Elektrofachkräfte in einer elektrischen Anlage mit PV-System nach DIN VDE 0100-712 Abschnitt 712.537.2.101 Schalteinrichtungen mit Trenneigenschaft sowohl auf der Gleich- als auch auf der Wechselspannungsseite vorgesehen werden müssen. Hingegen kann nach Abschnitt 712.531.3.101 ein Hersteller eines Wechselrichters durch seine Bestätigung die Notwendigkeit einer RCD vom Typ B oder Typ B+ aufheben, die insbesondere elektrotechnischen Laien Schutz gegen elektrischen Schlag bieten soll.
In Begleitdokumenten einiger Wechselrichterhersteller liest man gelegentlich irritierende Hinweise zum Schutzkonzept. In dem von Ihnen beigefügten Dokument (Anm. d. Red.: hier nicht abgedruckt) steht u. a.: »Daraus folgt, dass der (…) Hybrid beim Auftreten des ersten Fehlers den Neutralleiter von der DC-Seite des Wechselrichters trennt. Alle trafolosen (…) Wechselrichter schalten sich bei Erdschluss ab und unterbrechen den Neutralleiter entsprechend VDE 0126-1-1 und IEC 62109-2.« Mir ist nicht klar, was mit »erster Fehler« gemeint sein soll. Noch unverständlicher ist, dass offensichtlich nur der Neutralleiter und nicht die Außenleiter abgeschaltet werden. Nach IEC 62109-2 Abschnitt 4.8.3.5 (Protection by residual current monitoring) ist so etwas nicht zulässig.
Schlussbetrachtung
Muss aus den weiter oben beschriebenen Gründen eine Fehlerstrom-Schutzeinrichtung (RCD) in einer elektrischen Anlage mit einem PV-System verwendet werden und der Hersteller des PV-Wechselrichters bestätigt nach DIN VDE 0100-712 Abschnitt 712.537.2.101, dass bei Verwendung seines Wechselrichters keine RCD vom Typ B oder Typ B+ erforderlich ist, und bei der Installation wird somit eine RCD vom Typ A vorgesehen, dann ist diese elektrische Anlage mit den Anforderungen nach DIN VDE 0100-712 konform. Es dürfen für Betriebsstätten, Räume und Anlagen besonderer Art gemäß der Teile 7xx der DIN-VDE-0100-Reihe die allgemeinen Anforderungen der Teile 100 bis 600 ergänzt, geändert oder ersetzt werden.
Bei DIN VDE 0100-410 handelt es sich um eine Sicherheitsgrundnorm hinsichtlich des Schutzes gegen elektrischen Schlag mit grundlegenden und bewährten Anforderungen zum Schutz gegen elektrischen Schlag. In dieser Norm ist u.a. klar nach Abschnitt 411.3.2 gefordert, dass Schutzeinrichtungen zur Realisierung des Fehlerschutzes eine Trenneigenschaft aufweisen müssen und dass nach Abschnitt 410.3.7 abweichende Schutzvorkehrungen denselben Grad an Sicherheit bewirken müssen. Legt man dieses zugrunde, so kann in Frage gestellt werden, ob eine eher aufgrund wirtschaftlicher Belange basierende Bestätigung eines Wechselrichterherstellers, wonach eine RCD vom Typ B oder Typ B+ nicht verwendet werden muss, denselben Grad an Sicherheit bewirkt, wie der tatsächliche Einsatz einer RCD vom Typ B oder Typ B+.
Zu Recht kann auch die Frage gestellt werden, weshalb grundlegende Anforderungen zum Schutz gegen elektrischen Schlag nach DIN VDE 0100-410 im Teil 712 ausgehebelt wurden. Im Zweifelsfall empfehle ich daher die Verwendung einer RCD des Typs B oder B+. Allerdings spielen bezüglich der Gesamtkosten einer PV-Anlage solche RCDs mittlerweile wohl eher eine untergeordnete Rolle.
Günter Grünebast
PP22156